morast - 20. Jul, 12:01 - Rubrik:
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Normalsterbliche Erwachsene schlafen um diese Uhrzeit, dachte ich mir und grinste. Ich war müde und geschafft. Die letzten Tage hatten es nicht an Anstrengung mangeln lassen, jedoch im Gegenzug nicht ausreichend Schlaf geboten, um meiner wachsenden Erschöpfung Herr zu werden. Ich sollte schlafen, dachte ich mir und grinste erneut. Schließlich war ich gerade dabei, mir Schuhe anzuziehen.
Freitag Nacht um eins. Eigentlich ein guter Zeitpunkt. Um auszugehen, das Nachtleben zu erfahren. Oder einfach um zu schlafen. Ich griff nach meinem Rucksack, fand Portemonaie und Schlüsselbund und verließ die Wohnung. Das Treppenhaus war finster, und im Dunkeln lief ich die Stufen herab.
Ich fühlte mich matt, weich irgendwie, und hätte ich mich in ein Bett gelegt, so wäre ich innerhalb weniger Sekunden in tiefste Träume versunken. Mein Fahrrad stand auf dem Hof, wartete. Um diese Uhrzeit auf öffentliche Verkehrsmittel zu warten, hätte in elende Warterei gemündet. Und vielleicht wäre ich sogar an der Haltestelle eingschlafen.
Es regnete nicht, obwohl ich fest damit gerechnet hatte. Obwohl ich bereit gewesen war, durch strömendes Nass zu fahren. In meinem Bauch rumorte der Liter Cola, den ich wenige Minuten zuvor konsumiert hatte. Keine gute Kombination, dachte ich, lähmende Müdigkeit und koffeiniertes Erfrischungsgetränk. Denn anstatt sich gegenseitig auszulöschen, ergänzten sich diese zwei Komponenten zu einem unwirklichen Gefühl von Trunkenheit.
Ich sollte schlafen, dachte ich und schwang mich aufs Rad. Der warme Sommerwind fegte mir ins Gesicht, und ich genoss es, durch die leeren Straßen zu rasen. Vermutlich hätte ich das Fahrradlicht anschalten sollten, doch das kümmerte mich nicht. Mein Ziel war nicht fern, und mein Weg führte mitten durch kleinstraßiges Wohngebiet.
Die Zeit verflog zu rasch. Als die Packstation vor meinen Augen auftauchte, glaubte ich einer Täuschung aufgesessen zu sein. So schnell?
Ich zückte die goldene Karte und hatte keine Mühe, mich an meine PIN zu erinnern. Nicht Christoph Kolumbus; nicht 1492. Meine Merkhilfe war unnütz und nützlich zugleich, und nur wenige Augenblicke später hielt ich mein Paket in der Hand.
Natürlich, es ist Unrecht, dass die Post persönlichen Service durch Automaten ersetzt, dass womöglich Arbeitsplätze verloren gingen, bloß weil es preiswerter für das Unternehmen war, Automaten zu betreiben als Menschen zu beschäftigen. Und doch: In diesem Augenblick war ich bereit, eine Ode zu schreiben, an Loblied auf die Packstation zu singen, eine Hymne komponieren, in der ich pries, was da gelb und klobig vor mir aufragte.
Denn nicht nur, dass ich sowohl per Mail als auch per SMS benachrichtigt wurde, dass ich nicht erst nach Hause fahren musste, um dort im Briefkasten eine Mitteilung zu finden, die ein erneutes Losfahren erwirkte [Aber nicht vor 16.30 Uhr desselben Tages!], nicht nur, dass ich nach bis in die Abendstunden gehender Arbeit keinen Grund hatte, mich über idiotische Postfiliaenöffnungszeiten zu ärgern. Nein, ich konnte auch trotz Doppelbenachrichtigung vergessen, bei der Packstation vorbeizufahren und mein Paket abzuholen; ich konnte heimkehren und mich erst Stunden später an das Geschickte erinnern, dass irgendwo in einem Metallcontainer auf mich wartete; ich konnte mich nachts um eins aufs Rad schwingen, durch leere Straßen sausen und völlig übermüdet mein Paket in Empfang nehmen; ich konnte mit zusätzlicher Euphorie bestückt nach Hause fahren, mich aller Sachen entledigen und kurz bevor mir die Augenlider tatsächlich zufielen, die Pappe aufreißen und deren Inhalt bewundern; ich konnte plötzlich erneutes Wachsein und Lust finden, noch ein wenig zu blättern, zu begutachen, was mir die Post zukommen ließ, was ich in unsinnigem, nächtlichen Überschwang unbedingt abholen musste und was mich nun glücklich und zufrieden einschlafen ließ.
[Im Hintergrund: Depeche Mode - "The Singles 86-98"]
morast - 19. Jul, 10:25 - Rubrik:
Wortwelten
Der Magdeburger Damaschkeplatz ist der Inbegriff von Hässlichkeit. Und obwohl sich hier der Nachtverkehr zur Weiterfahrt sammelt und Umsteigenden die Möglichkeit gibt, sich in alle Richtungen Magdeburgs transportieren zu lassen, vermeide ich es, hier zu warten. Verkachelte Betonklotzhäuschen von häßlich graubrauner Farbe, die vermutlich noch nicht einmal in den 70ern hübsch ausgesehen hatten, erinnern nur zu deutlich daran, was für einen abartigen Geschmack Städtebauer zuweilen gehabt haben mussten.
Üblicherweise passiere ich den Damaschkeplatz in einer Bahn opder einem Bus sitzend, und selbst wenn der Nachtverkehr minutenlang auf Neuankömmlinge wartend an Ort und Stelle steht, bin selten ich es, der zusteigt. Nein, ich bin der, von innen nach außen schaut und interessiert die Leute betrachtet, die sich dort auf den Bahnsteigen und innheralb der anderen Gefährte tummeln.
In den letzten Tagen entdeckte ich immer wieder einen jungen Mann, vielleicht zwanzig, mit kurzem, dunklem Haar, modischer, aber unspektakulärer Kleidung und einem Schäferhund an der Leine. Der Schäferhund wirkte freundlich, und ihm schien es keineswegs etwas auszumachen, dass sein Herrchen immer wieder vor- und zurück wippte, wieder und wieder, einem Metronom gleich.
Ich wunderte mich ein wenig, doch bin ich bisher genug behinderten Menschen begegnet, um das Wundern nicht lange beibehalten zu können. Als sich Busse und Bahnen in Bewegung setzten, hatte ich den jungen Mann zumeist schon wieder vergessen.
Heute jedoch wartete ich am Damaschkeplatz. Der Optimist in mir hatte mich davon überzeugen können, dass ich möglicherweise eine frühere Bahn erreichen könne, wenn ich nur alsbald zum Damaschkeplatz käme - und irrte sich. Ich war allein auf dem Bahnsteig, und obwohl meine Bahn erst in zehn Minuten eintreffen würde, war ich nicht gewillt, mich laufenderweise nach Hause zu begeben. Schließlich wartete in meinem Rucksack ein Buch darauf, gelesen zu werden.
Ich setzte mich, ignorierte den aus dem Fußgängertunnel zeitweise hervorquellenden Urindunst, ignorierte den Boden unter meinen Schuihen, der angefüllt war mit Zigarettenkippen und nicht näher zu definierendem Ehemaligem, ignorierte die Un-Architektur um mich herum - und begann zu lesen. Dann vernahm ich Gesang.
Keineswegs waren es Engelchöre oder menschliches Äquivalent, das da an mein Ohr drang, auch Worte waren nicht vernehmbar - und dennoch handelte es sich um Gesang. Ich blickte auf, und mir gegenüber, auf der anderen Gleisseite stand der junge Mann und wippte hin und her. Nein, vor und zurück wippte er, und zwar in konstant gleicher Geschwindigkeit und im Takt zu den Lauten, die aus seinem Mund drangen.
Denn Laute waren es, die er von sich gab, nicht viel mehr. Es war, als hörte man Timmy aus Southpark zu, wie er versuchte zu singen. Und nicht nur das: Der erste Eindruck hatte mir vorgegaukelt, Englisch zu vernehmen, doch das, was der junge Mann ertönen ließ, waren Silben, die eher Englisch imitierten als es zu sein. Es war, als würde er ein Lied nachsingen, dessen Text er nicht verstanden hatte.
Sein Gesang hätte niemand als schön oder ergreifend bezeichnen können, doch war er auch kein verqueres Musikgebilde, das einem zerrütteten Geist entsprungen war. Nein, der junge Mann traf Töne, hielt den Rhythmus - und kannte offensichtlich das gesamte Lied in- und auswendig - wenn man von seiner kleinen Textschwäche absah. Minutenlang saß ich wie gebannt da, außerstande, mich auf mein Buch zu konzentrierten, gebannt von dem, was auf der anderen Seite der Gleise geboten wurde.
Was ich hörte, war moderne Rockmusik, und ich bemühte mich verzweifelt zu erkennen, um welche Band es sich handelte. Doch abgesehen von einem Wort, das "closer" heißen konnte, war kein Text auszumachen - und somit jede Chance auf potentielle Nachrecherche vertan. Also lauschte ich nur und versuchte, einen Blick auf das rechte Ohr des Jungen zu werfen. Denn nur das linke war mir zugewandt - es war leer, und ich hätte gerne gewusst, ob sich im rechten ein klitzekleiner Kopfhörer verbarg.
Mit welcher Unermüdlichkeit er vor sich hin sang, beeindruckte mich. Er musste dieses Lied wirklich lieben, wenn er es auf diese Art und Weise auswendig kannte. Als es endete, begann ein weiteres, ebenso detailreich wiedergegeben, ebenso unverständlich wie das erste. Ich war fasziniert.
Meine Faszination war jedoch noch steigerbar: Denn irgendwann bemerkte ich ein hintergründiges Taktgeräusch. Es klang, als trete man mit feuchtem Schuh kräftig auf und das Wasser quetschte sich aus dem zusammengepressten Material. Oder als fegte man mit einem Handfeger über groben Asphalt. Dies war das Metrum, und es deckte sich mit der Wippbewegung des Jungen, die ihn abwechselnd den linken und den rechten Fuß, beziegungsweise, da er in Schrittstellung stand, den vorderen und hinteren Fuß heben ließ. Und es passte zu seinem Gesang, selbst als sich dieser - bewusst - neben dem Takt bewegte.
Ich begriff es nicht. Irgendwo musste das Geräusch doch seine Ursache haben. Es seinen Schuhen zuzuordnen, wäre logisch gewesen, doch niemals wäre sein Schuhwerk, so trocken und unversehrt es war, zu solchen Geräuschen fähig gewesen. Der Taktklang musste aus seinem Mund kommen.
Aber auch das war kaum möglich, sang er doch stetig und kontinuierlich, gepresst und mit Timmy-artig genutzter Stimme, und ich an seiner Stelle hätte ein zusätzliches Taktgeräusch nicht gleichzeitig hervorbringen können. Aber vielleicht er. Vielleicht hatte er, ohne es bewusst wahrzunehmen, eine Möglichkeit gefunden, seinem Mund zugleich Perkussion und Gesang zu entlocken.
Ich horchte, beobachtete ihn. Ich schämte mich nicht, ihn anzustarren, denn er schämte sich auch nicht, auf öffentlichem Platz vor wachsendem Warte-Publikum lautstark englischige Rockmusik zu intonieren. Besonders gewissenhaft achtete ich auf Pausen. An irgendeiner Stelle musste er doch stillstehen, innehalten, den Takt ruhen lassen, oder mit dem Wippen aufhören. Doch das geschah nicht. Drei komplette Lieder, von Anfang bis Ende, zumindest soweit ich das beurteilen konnte, vernahm ich, und nicht einmal hielt er inne und ließ mich erkennen, woher das Taktgeräusch stammte, das mich so sehr rätseln ließ. Und auch die Band erkannte ich nicht, wenngleich ich feststellte, die Musik für eingängig und hörbar zu befinden.
Sein Schäferhund war dieses Gebaren offensichtlich gewohnt. Im Takt schwang seine Leine auf und ab, doch er blieb stoisch sitzen, mit gespitzen Ohren seine Umgebung wahrnehmend, als wäre es das Normalste der Welt, dass jemand auf einem Umsteigebahnhof für öffentlichen Personenahverkehr lautstark Lieder trällerte.
Dann kam meine Bahn, und alsbald füllte sich der gesamte Damaschkeplatz mit Gefährten, mit Aus- und Umsteigenden. Ich behielt den jungen Mann im Auge, als ich mir einen Sitzplatz suchte, betrachtete ihn durch drei Glasscheiben hindurch - doch von seinem Gesang vernahm ich nichts mehr. Er wippte weiter vor sich hin, zog die Aufmerksamkeit verschiedener Passagiere auf sich, doch stieg nirgendwo ein. Er hatte kein Ziel, nur seine Musik, die er unverdrossen erklingen ließ.
Ich freute mich. Keine Zeile meines Buches hatte ich gelesen; die Faszination war stärker gewesen.
Als meine Bahn zur Fahrt ansetzte, trat eine ältere Frau auf den jungen Mann zu, kramte in ihrer geblümten Tasche und holte Süßigkeiten hervor. Sie unterhielt sich mit ihm, und lächelnd nahm ich wahr, wie er selbst, als er ihr antwortete, nicht aufhörte zu wippen.
[Im Hintergrund: Empyrium - "A Wintersunset..."]
morast - 18. Jul, 00:05 - Rubrik:
Bahnbegegnungen
Ich gebe auf.
Üblicherweise verzichte ich auf das das Belauschen von Radiosendern, und jährlich freue ich mich erneut über einen Brief von der GEZ, der mich daran erinnert, dass meine Anlage durchaus radiotauglich ist - obwohl ich sie nie dafür nutze. Abgesehen von versehentlichen Berührungen mit ungewollten Klängen in der Öffentlichkeit ist der einzige Ort, an dem das Radio eine Bedeutung für mich hat, das Badezimmer.
Ich habe keine Ahnung, wem das Gerät dort gehört und langfristig wird es sich vermutlich als ungute Idee erweisen, ein Radio in Feuchtgebieten zu positionieren, doch verleitet es mich hin und wieder dazu, einfach mal reinhören zu wollen, was die musikalische Welt zu bieten hat. Die üblichen 80er-90er-Superhitsender brauchen nicht erwähnt zu werden; nur wenige Sekunden angewiderten Hinhörens schenke ich ihnen, bevor ich das Radiosenderauswählrad zum nächsten Programmplatz bewege.
Irgendwo entdecke ich meist Musik, die ich als "hörbar" einstufe und die mich dazu bringt, dem Sender eine Hintergrundbefüllung zuzugestehen - mit der steten Hoffnung auf Besseres. DIe Hoffnung wird enttäuscht, nach ein paar erträglichen Liedern kommt stets irgendetwas, das zu akzeptieren ich nicht bereit bin, und ich schalte aus.
Wahrscheinlich liegt es an mir. Jeder, der so etwas wie einen Musikgeschmack besitzt, wird zugeben, dass dieser Grenzen hat. Woher aber soll ein Radiosender diese Grenzen kennen? Woher soll er wissen, dass er, wenn er diesen Song spielt, den anderen nicht spielen sollte - obwohl er demselben Genre angehört, ja vielleicht sogar von derselben Band ist? Er kann nicht in meinen Schädel schauen, und selbst wenn, würde er sicherlich ablehnend mit dem Kopf schütteln: Mein Musikgeschmack ist wenig radiotauglich.
Das Internet ist groß, weit und bunt, und irgendwo lärmen sicherlich auch Sender in den digitalen Äther, deren Programm mir zusagen könnte. Doch ich bin verwöhnt. Musik existiert für mich nicht als Element des Hintergrunds, sondern zieht einen bedeutenden Teil meiner Aufmerksamkeit auf sich. Und sobald die erwähnte Grenze überschritten wird, beginne ich, mich unwohl zu fühlen und ein Werk zu bevorzugen, das sich in meinem eigenen Besitz befindet und von dem ich weiß, dass ich es mag.
Selbst wenn die Unmöglichkeit gelänge, meinen Musikgeschmack derart zu spezifizieren, dass ein Radiosender nur Titel spielt, von denen er sicher sein kann, dass ich sie mag, hätte er keine Chance. Schließlich sind Musikvorlieben stimmungsabhängig, und auch wenn ich alle Alben einer Band besitze, habe ich nicht automatisch zu jedem Zeitpunkt Lust, ihre Klängen zu lauschen.
Das Radio hat keine Chance. Zu leicht ist es für mich, Klänge auszuwählen, die ich für gut befinde, mich bei plötzlichen Geschmacksunsicherheiten durch ein annehmbar großes, stetig erweitertes Archiv an Titeln zu wühlen und schlußendlich jene hervorzukramen, die ich im Augenblick für passend halte. Zu leicht ist es zu pauschalisieren und den Großteil der von den Radios verbreiteten Songs für ungut zu erklären - eben weil sich unter ihnen zahlreiche befinden, die mich zum Abschalten nötigen. Zu leicht ist es, in der riesigen Auswahl an Möglichkeiten des Internets, mir bewusst jene Musiken zu suchen, die ich mag, anstatt darauf zu warten, dass irgendwann etwas an mein Ohr dringt, dass mir zumindest einigermaßen gefällt.
Ich gebe also auf. Das Badezimmerradio erhält keine weitere Chance, sich mit mir zu versöhnen, mich zu unterhalten, während heißes Wasser auf mein Haupt rieselt oder eine Klinge über mein Antlitz wandert. Statt dessen werde ich die Ruhe genießen und mir einen Fred-Comic ausdenken - oder einen Text ersinne, in dem ich erkläre, warum ich nicht fernsehe.
[Im Hintergrund: My Dying Bride - "The Scarlet Garden"]
morast - 17. Jul, 10:20 - Rubrik:
Wortwelten
Bei Welt Online existiert eine
100-teilige Bildergalerie über die 100 gefährlichsten Internet-Seiten, die neben anderen Reaktionen auch den Vorschlag hervorbrachte, doch eine Galerie der schönsten Zahlen bis 10000 zu generieren. Diesen Vorschlag griff Stefan Niggemeier auf und baute ihn in seinen, durchaus sehr interessanten
Artikel in der Frankfurter Sonntagszeitung ein, in dem die Klickgeilheit deutscher Online-Medien beschrieben wird. Prompt schuf die taz in ihrer Online-Präsenz eine
12-teilige Bildergalerie mit dem Titel "Die schönsten Zahlen". Und als allererste Zahl taucht dort, natürlich, die
23 auf. Hurra!
morast - 16. Jul, 13:59 - Rubrik:
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Aus der beliebten, einteiligen Serie "Schwarze Tiere im Dunkeln" präsentiere ich heute folgendes Werk:

morast - 15. Jul, 21:46 - Rubrik:
Farbenfroh
morast - 14. Jul, 23:45 - Rubrik:
23
morast - 12. Jul, 09:06 - Rubrik:
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Ich bin ein Tollpatsch. Das war schon immer so, zumindest soweit ich mich zurückerinnern kann. Mittlerweile bin ich alt genug, um nicht bei jedem Missgeschick, das mir geschieht, in Flüche und Verzweiflungstaten zu fliehen. In den meisten Fällen versuche ich einfach, den Schaden zu begrenzen und alle unangenehmen Folgen so rasch wie möglich zu beseitigen. Ansonsten bleibt mir nicht viel mehr übrig, als hinzunehmen, was geschah.
Die Mensa ist ein Ort voller Fallen. Ich brauche nur kurz unaufmerksam zu sein - und das bin ich durchaus häufig -, und schon habe ich mein Tablett samt Inhalt über irgendeinen, im Weg stehenden Tisch geworfen. Dass dabei das Glas zerschellt und Scherben das Essen fremder Personen entwerten, tut dann auch nichts mehr zur Sache. Wenn es in der Mensa scheppert, schauen sich meine Freunde zunächst um, wo ich bin.
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich mein gefülltes Colaglas oder die offene Flasche mit einer heftigen Handbewegung umwarf oder vom Tisch fegte, wie oft ich aufsprang und zur Kasse rannte, dorthin, wo sich die Servietten stapelten, mit denen ich anschließend gröbsten Unrat beseitigte. Hin und wieder gelang es mir auch, mein Tablett ungünstig in Kassennähe zu positionieren und selbiges, noch bevor ich das Essen bezahlt hatte, inmitten unzähliger Wartender auf mir und dem gefliesten Boden zu verteilen.
Der Schaden an mir stört mich nicht, und selbst das Organisieren eines Lappens und das anschließende Säubern würde mich nicht stören, wären die Mensafrauen nicht mit unendlicher Freundlichkeit bestückt und fest entschlossen, mir alle Reinigungsarbeiten abzunehmen. Dann erst beginne ich mich zu schämen - nicht aufgrund meiner Idiotie, sondern weil ich den Frauen zusätzliche Mühen bereite.
Schwierig ist es auch zu trinken. Denn in einer Mensa laufen kontinuierlich unzählige Menschen hin und her, stehen auf, setzen sich, begegnen einander, grüßen usw. Es gibt immer etwas zu entdecken, und ich bin äußerst neugierig. So geschah es schön häufiger, dass ich einen Schluck erfrischenden Getränks zu mir neben wollte, es aber an Konzentration mangeln ließ - und dadurch den Mund verfehlte. Ein Schwall Sprudelwasser schwappte auf meine Kleidung, und zum wiederholten Male war ich froh, üblicherweise Schwarz zu tragen und derartige Flecken weitestgehend ignorieren zu können.
Eine Zeitlang ging ich dazu über, mich beim Speisen in Wandnähe und derart zu positionieren, dass mein Blickfeld möglichst eingeschränkt ist. Doch es half wenig, denn sobald ich einen interessanten Laut zu hören glaubte, drehte ich mich doch wieder um. Selbst die am eigenen Tisch stattfindenden Gespräche reichten nicht aus, um meine Blicke und deren akustisches Äquivalent schweifen zu lassen. Und - schwupps - landete ein Teil der im Glas befindlichen Cola auf meinem Teller.
Solange es nur ein Schluck ist, nur eine kleine Menge, die in meinem Essen oder irgendwo landet, kann ich damit umgehen. Ich ignoriere alles, was ich nicht beseitigen kann, und wenn das Essen eine süßliche Note bekommt, schadet ihm das auch nicht. Schwierig wird es jedoch, wenn der Schaden größere Ausmaße annimmt.
So geschah es heute, dass ich zu trinken beabsichtigte. Tatsächlich war ich konzentriert genug, um beim ersten Schluck den Mund zu treffen. Doch plötzlich erwies sich das Glas als unhaltbar. Das Kondenswasser, das sich an der Ausßenseite gebildet hatte, ließ meine Finger abgleiten; ich packte fester zu, doch es war bereits zu spät. Das Glas rutschte mir aus den Fingern und stürzte auf den Tisch. Ich hielt es noch fest, bevor es sich dem Boden nähern konnte, doch der gesamte Inhalt hatte sich schon über die Tischpallte ergossen.
"Fuck!", dachte ich und stürmte zum altbekannten Serviettenspender. Eine, zwei, drei, zehn. Das müsste reichen. Insbesondere weil ich bereits von anderen komisch angesehen wurde. Ich sprintete zurück zum Tisch und fing an, die verschüttete Cola aufzuwischen. Die Servietten saugten gut, doch rasch war festzustellen, dass es nicht genug sein würden. Also versuchte ich, mich auf das Gröbste zu beschränken, und setzte dann meine Mahlzeit fort. Und obgleich mein Tablett unter Cola gesetzt worden war, hatte doch das Essen selber keinen Schaden genommen. Fein.
Ich aß, und bei jedem Bissen, den ich tat, bei jedem Schluck, den ich trank, achtete ich darauf, es richtig zu machen. Mein Tisch sah widerlich aus, doch für den Augenblick war das in Ordnung. Und wenn die Mensa in wenigen Minuten ihre Pforten schloss, würden ohnehin alle Tische gründlich bereinigt werden.
Unter dem Tablett kam die Cola hervorgekrochen und benetzte meinen Arm. Ich griff mir die letzten zwei verbliebenen Servietten und versuchte, den sich in meine Richtung ergießenden Bach zu stoppen, ihn mit einem saugfähigen Papierdamm zumindest solange aufzuhalten, bis ich meine Mahlzeit beendet hatte. Ich beeilte mich.
Als ich fertig war, sowohl Haupt- als auch Neben- und Nachspeise verzehrt und die Cola auzsgetrunken hatte, packte ich zusammen. Mit den Fingerspitzen griff ich den matschigen Serviettenklumpen und beförderte ihn auf den Teller. Mit einem Schnalzen löste sich das Tablett vom Tisch, und ich trug es zum Abgabefließband. Ein Blick zurück offenbarte mir Chaos: Der Tisch war nicht wiederzukennen, bedeckt von verschmierten Colalachen und klebrig-feuchten Papierfetzen.
Ich seufzte schamvoll und begab mich langsam zum Ausgang.
morast - 11. Jul, 15:23 - Rubrik:
Wortwelten
"Die Viehzucht ist ein Klimakiller, wie die Welternährungsorganisation FAO jüngst in einem Report feststellte. Die gesamte Landwirtschaft der Menschheit erzeugt 22 Prozent der globalen Treibhausemissionen, mehr als der Verkehrssektor. Vier Fünftel davon entfallen auf die Tierproduktion. Das liegt auch daran, dass Rinder und andere Wiederkäuer in ihren Mägen große Mengen Methan erzeugen ein Gas, das 23-mal so klimaschädlich ist wie Kohlendioxid."
zeit.de
morast - 10. Jul, 07:49 - Rubrik:
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