Samstag, 13. Februar 2010

Das Geständnis

"Ich muss dir eines gestehen, lieber, vielleicht bester, Freund, ach, was rede ich, nicht 'vielleicht', ganz gewiss sogar bester, ja, allerbester Freund. Bitte unterbrich mich nicht, denn das, was ich dir nun darlegen, darreichen, also: sagen, werde, ist keineswegs allzu profan, entbehrt jedoch nicht einer gewissen Simplizität. Es lag mir bereits viele Male auf den Lippen, doch du weißt ja, wie ich bin: ich kann mich nicht immer aufraffen, auch das auszudrücken, was zu sagen ich gewillt bin. Und so war es auch hier. Ich entsinne mich noch des eines Abends, als wir gemeinsam nach einer kleinen Feierlichkeit bei deiner Cousine oder Mitbewohnerin oder Stiefschwester oder dergleichen heimkehrten, auf ein Taxi verzichteten und gerade, sicherlich ermutigt durch den Konsum diverser Alkoholitäten, in Begriff waren, uns näher zu kommen, unsere Freundschaft zu vertiefen, uns gegenseitig Dinge zu offenbaren, die wir voneinander trotz langjähriger Bekanntschaft nicht wussten, wie wir also nach Hause gingen, fast torkelten, möchte ich meinen, wollte ich es bereits sagen, wollte ich mich dir öffnen und auch dieses, vielleicht letzte, Geheimnis aus mir herausreißen und in deine Hände, oder vielmehr: Ohren, legen, weil ich plötzlich erkannte, dass du vielleicht die einzige Person auf Erden bist, der ich vollstes und jederzeitiges Vertrauen entgegenbringe. Doch wie du dich - möglicherweise - noch entsinnst, es ist ja noch nicht allzu lange her, kam dann deine Cousine oder Mitbewohnerin oder Stiefschwester hinter uns hergelaufen und brachte mir meinen Schal, den ich im Eifer des Aufbruchs, bei all dem herzhafen Verabschieden, Küssen und Umarmen, liegen gelassen hatte, brachte den Schal und unterbrach uns, beziehungsweise mich, der gerade in Begriff war, dir das zu erzählen, was zu erzählen ich nun in Begriff bin. Übrigens gab es seitdem noch eine Handvoll Situationen, in denen es nicht unangebracht gewesen wäre, das mir auf dem Herzen Liegende kundzutun, doch meinte es das Schicksal oder der Zufall, je nachdem, woran man glauben mag, mit mir nicht sonderlich gut, und jedesmal fand ich irgendeinen, oft winzigen Grund, nicht weiterzureden, nicht zu sagen, was ich nun sagen werde, nicht auszusprechen, was auszusprechen ich längst willens war. Nun aber soll es raus, ins Freie, soll meinen Schädel und somit auch meinen Mund verlassen, soll ausgesprochen werden und dich finden, soll von dir vernommen und beurteilt werden, und ich hoffe, dass unsere Freundschaft anschließend noch dieselbe sein wird. Oh ja, das hoffe ich, und mehr noch: Ich hege den Hauch einer Hoffnung - verzeih' mir diese kleine Alliteration, werter Kumpan - dass unsere Verbindung, die, wie dir sicherlich bewusst ist, bereits mehr als ein Jahrzehnt währt, durch dieses kleine Geständnis, gar vertieft werden wird, dass du mein nicht länger mögliches Schweigen als Beweis meines Vertrauens verstehen und vielleicht sogar in Zukunft mehr denn je bereit sein wirst, mir das deinige zu schenken. Ich will auch nicht länger um den heißen Brei, der, wenn man es genauer betrachtet, gar nicht so heiß ist - und Brei sowieso nicht -, herumreden, sondern nun die Karten auf den Tisch legen, die Wahrheit der eigentlich einzig und allein aus dir bestehenden Öffentlichkeit darreichen. Das, was ich dir all die Zeit, all die Male, von denen ich dir eben nur ein einziges, kleines Beispiel aufführte, sagen, mitteilen, ja, nennen wir es beim Namen: gestehen wollte, war - und es fällt mir wirklich nicht leicht, es hier auszusprechen, und gleichzeitig bin ich doch froh, wenn die Last endlich von meinem Herzen weichen wird, wenn ich mich um dieses winzige Geheimnis, das ich nun schon so lange Zeit mit mir herumtrage, erleichtert haben werde -, das, was ich dir also längst sagen wollte, ist:
Ich verliere nicht gern viele Worte."
"Ich schon."

Freitag, 12. Februar 2010

Luft

Nur nicht in Panik geraten! Auf keinen Fall in Panik geraten. Er hatte noch Luft für zehn Minuten, fünfzehn, wenn er Glück hatte, und jede Bewegung war kostbar, jeder Atemzug unwiderbringlich. Er musste ruhig bleiben. Schlafen wäre optimal, würde ihm vielleicht ein paar zusätzliche Minuten verschaffen, doch an Schlaf war nicht zu denken. Er musste hier raus, einen Ausweg finden, es irgendwie schaffen, sich aus dieser Kammer zu befreien. Nein, er brauchte Luft. Befreien konnte er sich immer noch, später, doch das einzige, was jetzt, in diesem Augenblick, zählte, war Luft, Atemluft, Sauerstoff.

Die Kammer war dicht, das wusste er. Er hatte sie selbst entworfen, selbst gebaut, selbst jede Lücke in der Versiegelung überprüft und beseitigt. Und doch musste es eine Schwachstelle geben, irgendeinen Weg, den er bisher übersehen hatte, irgendeinen Punkt, an dem er ansetzen konnte. Aber es gab nichts.

Die winzige Luke, die den Eingang darstellte, war dreifach gesichert. Vierfach, wenn man es genau nahm. Dennoch hatte er sie abgetastet, sowohl im Geiste, als auch mit den Fingern, hatte jede Unebenheit gespürt, war jeden Millimeter nachgefahren, wusste, welches Teil mit welchem zusammenspielte, wo er beginnen müsste, hätte er genügend Zeit und Material.

Doch er besaß nichts davon. Nur Atemluft, einen kümmerlichen Rest Atemuft, und seinen Verstand, sein Wissen, seine unschätzbaren Kenntnisse über diese Kammer, über dieses Verlies, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien.

Bleib ruhig, sagt er sich immer wieder, und er spürte, wie die Panik langsam aus seinem Denken wich, wie sich sein Herzschlag verlangsamte, sein Atem abflachte. Alles wird gut, belog er sich, alles wird gut.

Der Kunststoff, der ihn umgab, war aus einem Stück gegosssen. Er bestand aus insgesamt zwölf ineinander greifenden Schichten, allesamt mit menschlichen Händen nahezu unmöglich auch nur zu zerkratzen. Ein Loch, egal wie winzig, zu schaffen, war ein absurder Gedanke, eine schlichtweg lächerliche Möglichkeit.

Und doch musste er einen Ausweg finden, musste es eine Schwachstelle geben. Musstemusstemusste.

Denk nach, forderte er sich auf, biss die Zähne zusammen und dachte, versuchte sich zu erinnern. Doch es kam nichts. Die Kammer war perfekt. Unüberwindbar. Sein Ende.

Sechs Minuten Luft verblieben ihm noch. Vielleicht eine Minute mehr. Sieben Minuten. Jedes Sauerstoffmolekül ward zu einem Schatz, jedes Quentchen unverbrauchter Luft war mit allen Kostbarkeiten der Erde nicht aufzuwiegen. Niemals war Atmen wichtiger, niemals schwerer, niemals Luft so bedeutsam wie jetzt.

Er würde es nicht schaffen. Es gab keine Lösung, keinen Ausweg. Nur noch bange Momente, die Frage, wie lange die Luft tatsächlich reichen würde, das furchtsame Warten auf das Ende. Wird es wehtun?, fragte er sich, und sein Herz schlug wieder ein wenig schneller.

Schhhh, beruhigte er sich. Schhhh. Alles wird gut.

Wenn es schon zuende gehen soll, dachte er, und ein winziges Lächeln stahl sich auf seine Lippen, dann wenigstens mit Stil.

So gut es ihm im Inneren der winzigen Kammer möglich war, machte er es sich bequem. Er knöpfte sein Hemd zu, zog den Krawattenknoten fest, glättete sein Haar. Perfekt, dachte er. Wenn man ihn fand, wäre er wenigstens in Würde gestorben.

Noch ein paar Atemzüge, dachte er, ein paar tiefe Atemzüge, dann war alles vorbei. Er würde sie genießen, beschloss er, er würde lächeln und seine letzten Momente genießen.

Dann kam der Furz. Völlig unerwartet explodierte er aus seinem Hinterteil, füllte innerhalb von Sekundenbruchteilen die gesamte Kammer mit widerwärtigstem Gestank.

Mist!, dachte er noch, verzog angewidert das Gesicht und verstarb.

Donnerstag, 11. Februar 2010

...

Die Knitterstirn wölkt mein Antlitz. ,Dies wäre ein guter Moment, sich jedes Beginns zu erwehren.‘, denke ich betrübt und betrachte die Reglosigkeit.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Am Teich

Peter saß am Teich und freute sich seines Lebens. Er war nach der Schule rasch nach Hause gerannt, hatte alle Hausaufgaben in Windeseile erledigt, sich zwei Müsliriegel geschnappt und war dann zum See gelaufen. Der See befand sich in unmittelbarer Nähe zum Haus von Peters Eltern, und wenn die Abenddämmerung hereinbrach, saß Peter gerne an seinem Fenster und lauschte dem vielstimmigen Konzert der Frösche.

Heute aber saß Peter am See. Die Dämmerung war noch fern, und allzuviele Töne waren den Seebewohnern nicht zu entlocken. Hin und wieder blubbte es, wenn ein Fisch nach Luft schnappend durch die Oberfläche stieß, und Peter freute sich schmunzelnd über die Kreise, die sich anschließend auf dem Wasser ausbreiteten und allmählich verebbten. Ab und zu raschelte es im Schilf, und obwohl Peter den Verursacher nicht entdecken konnte, erheiterte ihn der Gedanke, dass dort vielleicht junge Enten Verstecke spielten.

Gerade als er seine gesamte Aufmerksamkeit einer azurblauen Libelle und ihrem eleganten Dahingleiten widmete, höre er es.
"Quaak."
Peter brauchte mindestens vier Augenblicke, um sich von derLibelle zu lösen und dem Geräusch zuzuwenden.
"Quaak."
"Ein Frosch!", rief Peter begeistert, sprang auf und lief zur Quelle des Quakens.
Und tatsächlich: Auf einem mit glitschigen Algen bewachsenenen, vom Teichwasser sanft umspülten Stein saß ein winzigkleiner Frosch und gab ein erstaunlich kraftvolles "Quaak." von sich.

Vorsichtig setzte sich Peter und starrte auf den Frosch. Minutenlang geschah gar nichts. Der Frosch, der anscheinend lieber unbeobachtet quakte, schwieg, bewegte sich nicht. Peter, der den Frosch nicht verschrecken wollte und auf ein paar weitere Noten seines Solistenkonzertes hoffte, schwieg ebenfalls und hielt so still er konnte. Und das war ganz schön still, denn Peter hatte in der Schule heimlich geübt.

Nach etwa anderthalb Ewigkeiten aber wurde es Peter zuviel.
"Quaak.", sagte Peter.
"Quaak.", sagte da auch der Frosch.
Peter lachte. Der Frosch quakte erneut.
"Wie heißt du denn?", fragte Peter und lauschte gespannt.
"Quaak.", antworte der Frosch.
"Quack?", stellte sich Peter dumm. "So wie der Bruchpilot bei den Ducktales?"
"Quaak.", verbesserte der Frosch.
"Ach so. Quaak mit zwei A."
"Quaak.", bestätigte der Frosch, der, wie Peter nun wusste, Quaak hieß.
"Kannst du noch etwas anderes sagen außer 'Quaak.', Quaak?", fragte Peter neugierig.
"Quaak.", meinte Quaak.
"Nein, etwas völlig anderes!", rief Peter. "'Quiek.' zu Beispiel. Oder 'Muh.'. Oder 'Tätäratäää.'"
"Quaak.", erklärte Quaak.
"Oder meinen Namen? Kannst du meinen Namen sagen?"
"Quaak.", sagte Quaak.
"Nein! Ich heiße nicht Quaak! Du heißt Quaak!", rief Peter. "Ich heiße Peter. Kannst du 'Peter' sagen?"
"Quaak.", quakte Quaak.
"Nicht 'Quaak.'! 'Peter'!"
"Quaak.", quakte Quaak.
"'Peter'!", wiederholte Peter geduldig. "'Pe-ter'!"
"Quaak.", wiederholte Quaak.
"Och.", seufzte Peter. "Ich dachte, Frösche seien schlau."
"Schlau, aber keine Papageien.", antwortete Quaak und hüpfte davon.

Dienstag, 9. Februar 2010

Sredowiner Begegnung oder: Ein unlesbarer Text

Ich traf Breschnik in seinem Lieblingscafé "Awtimitow", "Hütchen", benannt nach der südpretorgischen Kopfbedeckung, die ihre Verbreitung wohl einzig und allein der schillernden und zugegebenermaßen umstrittenen Gestalt Wassili Panerositschs verdankt hatte, und heute noch, 24 Jahre nach dem Kampf um Trogotew und dem Tod Malitio Antrolis', in den Kopfen der Lotograder Bevölkerung perelengutales Freiheitsdenken vertrat. Wassili Panerositsch war ebenso von der Bildfläche verschwunden wie sein Awtimitow, hatte Platz gemacht für Persönlichkeiten wie Freter Julkatow und Singra Glestjenew, die vor allem durch ihr Werk, weniger durch ihr Äußeres, Bekanntheit erlangten. Ich war Julkatow begegnet, zwei Jahre nach den unfreulichen Ereignissen in Sildograd, und er redete noch immer feurig und entschlossen von Umbruch und Aufbruch, von Neugestaltung und Utiliviration, wie damals, als er mit seinem Roman "Vom ungebührlichen Betragen des Wlekodin Walitki" die Beigeisterungsrufe zahlreicher linkssoziophiler Entropregatisten und den Zorn ebenso vieler Fretizianer auf sich zog. Hätte es Sildograd und Regolewa nicht gegeben, stünde er vermutlich heute an der Spitze der Entropregatisten, der Philohumaner, wie sie sich jetzt nennen, und hielte zornige Reden über die Untaten Zoloptischiks und die Verfehlungen der Regierung Baltokan.

Breschnik saß auf demselbenen eichenen Stuhl in der Ecke des Cafés wie wohl jeden Dienstag, hatte Schriften Feltatows und Renejewks vor sich ausgebreitet, ohne sie jedoch auch nur eines Blickes zu würdigen. Statt dessen starrte er durch die regenverdreckten Scheiben des "Awtimitows" nach draußen und bewarf die wenigen Passanten, die sich bei diesem Wetter nach draußen wagten, mit verächtlichen Blicken. Ständig drang ein unflätiges Brummen aus dem Bartgeflecht hervor, das seit den Pastrowiner Tagen seinen Mund umkränzte, und zwischen den buschigen Augenbrauen hatte sich eine Zornesfurche tief in seine Stirn gegraben. "Breschnik, alter Freund. Sei gegrüßt!", rief ich, zog einen Stuhl heran und setzte mich. Breschnik hasste es, wenn man ihn Breschnik nannte. Schließlich war "Breschnik" die Verballhornung von "breschnowo knowojesk", "Warzennase", und er hasste diesen Spitznamen ebenso sehr, wie er alles andere zu hassen schien. Aber jeder nannte ihn nunmal Breschnik, auch wenn sein wahrer Name Anatol Krapatjew war, Anatol Krapatjew, Sohn des ursoletwischen Literaten Kwasor Krapatjew, dem unter anderem die Verbreitung ursoletwischer Ljegtowin-Prosa zu verdanken war und der mit seinen drei Bänden "Sukudow und Das Schicksal der Przeren" gewissen Ruhm erlangte. In den wilden Baschnakjer-Jahren hatte Breschniks Freund Snetogor Filartschik, Enkel des bekannten Mäzens Rukodan Mesca, ein zwölfzeiliges Gedicht im Walokreder Ruttwa-Boten veröffentlicht, das zwar eigentlich die unzumutbaren Zustände in den Westvierteln Jetuviens anprangerte, aber eben auch den Spitznamen beinhaltete, mit dem sich Breschnik von nun an bestückt sah. Dieser Fehltritt Filartschiks bildete erstaunlicherweise keineswegs den Schlusspunkt der Freundschaft mit Breschnik, doch wird gemunkelt, dass in mit den umstrittenen zwölf Zeilen der Grundstein dafür gelegt wurde, was knapp zwei Jahrzehnte später, beim gemeinsamen Besuch des Hretjokin-Museums in Plarowosk, zu Hass und Bluttat eskalieren sollte. Dass Breschnik überlebte, war anschließend von den zuständigen Ärzten des Marjana-Hospitals in Nowojensk als wahres Wunder bezeichnet worden, doch war es kein Wunder, mit dem Breschnik jemals glücklich werden konnte. In "Flegel aller Dinge", dem ersten Roman nach achtjährigem Schweigen, ließ Breschnik nicht umsonst Worotin, den tragischen Helden der Geschichte, anstelle seines Freundes Kliran in den Flammen der Optjawejser Bücherei vergehen, ein papiernes Opfer sozusagen und zugleich elegante Antwort auf das, was Putarkin, Ljodasenjew und Ragontschik in jenen Tagen publizierten.

Ich hatte keine Ahnung, ob sich Breschnik meiner entsann. Schließlich war es mehr als sechzehn Jahre her, dass wir zuletzt ein Wort gewechselt hatten. Minschka Palantowa, damals aufstrebende erste Violinistin im Sildograder Kammerorchester, heute Herausgeberin der neofeministischen "Wlaka-Woche", hatte sich damals erdreistet, Breschniks Gedicht "Vom Beginn der Zanoten" vor den Augen des Premierministers Hukolow und seiner Gattin zu zerreißen und zu behaupten, es sei nichts weiter als eine präpubertäre Kopie meines Werkes "Antrolawischer Sinnestanz". Das war es gewiss nicht; vielmehr hatte ich mich eines Gedankens in Breschniks Fabel "Die unbeugsame Flatjana" bedient und ihn zum Dreh- und Angelpunkt meines in der Fachpresse, insbesondere im "Zükischen Weltboten", lobgepriesenen Gedichtes "Auch andere in Imiir" werden lassen. Ich hatte Breschnik mit Entschuldigungen und Wertbekundungen überhäuft, doch Breschnik war - wie so viele Djelitische Kreative - ein Sturkopf und ließ weder mich noch meine wohlwollenden Worte an sich heran.

Ich bestellte einen Murlan-Tee und wartete auf ein Funkeln, ein Wiedererkennen, in den von den Brauen fast verdeckten Augen Breschniks, hoffte gar auf ein Lächeln, darauf, dass der alte Unmut längst vergessen und - wie ich ihn einschätzte - unter neuem begraben war. Vor zwei Jahren hatte ich die neunbändige Reihe "Memoiren eines Katschowniks" veröffentlicht und sie Breschnik gewidmet, dessen frühes Werk, insbesondere "Die Altanischen Elysien" und "Am Anfang aller Dinge - zwei Märchen für Rudkowa", mich nicht nur beeinflusst, sondern gar zu dem gemacht hatten, was ich heute war: Ein Poet, der sich durchaus mit einem Ranrik, einem Hjaltow, einem Krasnitsch, gar mit dem Vermächtnis des altehrwürdigen Turgorows, messen konnte. Nur allzu gern hätte ich aus seinem, Breschniks, bittere Worte murmelnden Mund erfahren, ob er die "Memoiren eines Katschowniks" gelesen, ob er die Andeutungen verstanden hatte, die ich mit Sorgfalt in das Geflecht des zweiten Kapitels "Kein Zimmer im Hotel Strowna" eingebunden hatte, ob er gar schmunzelte, als er in der Figur des Teodrow Umniks seinen alten Freund Pjanir Kalanow wiedererkannte.

Doch Breschnik schwieg, hatte selbst sein unaufhörliches Brummen eingestellt, und starrte ins Leere. Ich wollte erzählen, wollte von Pranetan berichten, von Ljento und Breski, wollte von den Gebrüdern Charnaw reden und ihrer der ulsajischen Zensur zum Opfer gefallenenen Roman "Die Verherrlichung der phretischen Falatna", wollte ausschweifen, ihn mit Worten überschütten, Worten der Verehrung, Worten des Dankes und, ja, noch immer, Worten der Entschuldigung, doch Breschnik schwieg, sah mich nicht an, saß reglos auf seinem Stuhl und schaute nach draußen.

Der Regen hatte sich gelegt, und mein Tee war längst kalt geworden, als ich mich erhob und ging.

Samstag, 6. Februar 2010

Vielleicht

„Vielleicht“, lächelte ich traurig „vielleicht existiere ich nur in deinem Kopf.“
„Wie meinst du das?“ fragte sie, und ihre Stimme klang, als fehlten nur Augenblicke, bis sie völlig eingeschlafen wäre.
„Vielleicht bin und war ich immer nur ein Traum.“, flüsterte ich und küsste ihr sanft den Hals.
„Glaub ich nicht.“, murmelte sie und und schwieg dann.
,Sie schläft.‘, dachte ich und lauschte ihrem Atem.

Sie erwachte vor Sonnenaufgang.
Allein.
Wie eh und je.

Freitag, 5. Februar 2010

Der Schneemann

Auf der beschneiten Wiese stand
im Januar am Waldesrand
ein Schneemann, kalt und ziemlich weiß
völlig reglos - Kopf bis Steiß

So begann ich laut zu denken:
"Ich werde dir nun Leben schenken!"
[wobei ich, während Donner krachte
recht hysterisch "Haha!" lachte]

Des weißen Mannes Schmunzelmund
sprach mir gut zu. Nach einer Stund
war mein Meisterwerk vollbracht -
und der Mann aus Eis erwacht!

Sein Kohlelächeln war nun echt
[Reden konnte er nur schlecht.]
und in seiner kalten Brust
schlug das Herz. Aus purer Lust

am Leben und am Wirklich-Sein
begann Herr Schneemann sich zu freu‘n
sein Herz schlug heftig, schnell und warm -
schmolz ihn schließlich: Kopf, Leib, Arm.

Donnerstag, 4. Februar 2010

Und dann

Und dann verstummten alle Uhren. Alle Zeiger verharrten in Starre, und ein Lächeln stähle sich auf mein Anlitz, als kümmerte es sich nicht um Furchenstirn und Zahngeknirsch. Ich stünde im Jetzt, vom eigenen Zaubertrick erstaunt, und wüsste plötzlich, welches Können mir auferlegt wäre, welche Taten darauf warteten, in kommende Wirklichkeiten zu schlüpfen. Ich lächelte, und es bedurfte nur eines Blinzelns, nur eines kurzen Huschens meiner Lider, und jeder Gram wäre meinem Schädel entflohen, jede Sorge zu träumendem Nichts verblasst. Und dann begänne das Handeln, begänne das Geißen und Weben, das Flammen und Wirken. Schmunzelnd entriss ich deinen Schultern jede Last, raubte deinem Glitzern jeden Sudel, tilgte jede Trübnis aus gesternsten Gedanken. Und ich begänne zu pflanzen: Sterne in die Sphären, Monde in die Finsternisse, Namen in die Einsamkeit. Kicherbäume, die dir sanften Zweiges täglich einen funkelnden Frohsinn entstreichelten. Glimmerblüten, die dich mit liebkosender Glut jeder Kälte entführten. Flüsterwinde, die mit Lobpreis und Geleit durchs Haar dir brausten. Zwei Lebsonnen, drei Rauschberge, fünf Wünschwirbel. Jeden noch so trüben Kopfesstrom lichtete ich mit Wattesprudeln, jeden Höhlensumpf mit Hauch und Kuss. Ich erklämme die Bangnis und schenkte ihr Trost, ich tränke die Furcht und spie ihr ein Lachen, ich fing jeden Sturm und zähmte ihn sanft. Meinen Fingern entsprössen seichte Silberstrahlen, wärmenden Gedanken gleich, eine heilende Haut für des Gemütes watende Schritte, ein stillendes Wort für der Seele schaurig Zittern, ein Mantel aus Monden, ein Cape aus Gestirnen, für dich und stets für dich. Und dann, wenn jeder Silbenschwur gegossen, jeder Horizont begleißt, jedes Sinnesweiß geäußert wäre, begänne ich, zwischen Herz- und Wimpernschlägen, zwischen Uhrentick und Uhrentack, zwischen zwei Zügen deines Atems, zu bersten. Jede Zelle, jedes Atom, meines Leibes gerönne zu Licht, zu Strahlen, zu Gleißen, zu Sonnen, zu einem himmelsweitem Lächeln, das als fernstes Rieseln die Zeit aus ihrem Schlummer stupste, die Zeiger fließen ließe und mit huldvoller Obhut dein erwachendes Haupt umkränzte. Alles ist gut, flüsterten die Sphären in deine Sinne, und erstmals wäre es wahr.

Mittwoch, 3. Februar 2010

das wissen

und dann all das wissen.

ich sehe meine füße schritte formen - und weiß.
ich sehe meinen atem worte bilden - und weiß.
ich sehe meine hände namen schreiben - und weiß.
dieselben schritte. dieselben worte. dieselben namen.
wieder und wieder.

und wieder und wieder dieselbe erkenntnis.
die erkenntnis, dieselbe erkenntnis längst erfahren zu haben.
ein kreis, denke ich, und weiß, dass ich auch diesen gedanken bereits hundertfach formulierte.
kein kreis, denke ich, und weiß, dass ich auch diesen gedanken bereits hundertfach formulierte.
ein taumeln vielleicht, ein schlingern, ein sturz vom hier ins überall.

manchmal, wenn ich zurückkehre, finde ich ein lächeln.
klaube es auf und klebe es in mein gesicht.
als gehörte es mir.
es gehört mir, denke ich dann, lächle, und weiß, dass ich endlich ankam.
mich endlich fand.
gleichgewicht.
und ein lächeln.

und ich weiß, dass nichts ewig währt.
und ich weiß, dass ich nicht wissen will.
nie wissen wollte.
dass ich taumeln werde.
dass ein satz genügt.
ein wort.
ein funke.

manchmal, wenn ich zurückkehre, finde ich ein loch.
schwarz und dunkel stülpt es meinen kopf nach innen.
ich bin noch immer ich, weiß ich.
irgendwo dort.
ich war schon immer hier, weiß ich.

und dann seh ich mich krauchen, alte pfade nutzend, alte namen rufend, alte lichter singend.
und dann seh ich mich träumen, alten zeilen zeichnend, alte hoffnung atmend, alte wege suchend.
neue findend.
plötzlich taumelnd.
plötzlich stürzend.
aus dem nichts ins ich.

zwischen allen zeiten finde ich mich wieder.
sehe meine füße schritte formen.
sehe meinen atem worte bilden.
sehe meine hände namen schreiben.
und weiß.
und lächle.

Spring doch!

"Spring doch!", rief ich nach oben. Irgendwo dort, von meinem Standort gerade noch als unscharfe Silhouette erkennbar, befand sich Peter. Und er war drauf und dran zu springen. Von der schmalen Brüstung hinab, an zwanzig oder mehr Stockwerken vorbei auf den Asphalt, dorthin, wo ich nun stand und ihn anfeuerte.

Meine Rufe zogen verwunderte Blicke auf mich. Und nicht nur auf mich. Nicht wenige Passanten folgten der Neigung meines Kopfes und konnten vielleicht Peter erkennen, Peter, der jeden Augenblick in die ihn verschlingende Tiefe springen würde.

"Spring doch!", ermunterte ich ihn abermals und ergänzte: "Du alte Kicherkröte!"

Er mochte es nicht, als alte Kicherkröte bezeichnet zu werden, wusste ich, und hoffte, dass sein Zorn ihn zum Sprung animieren würde. Doch vergeblich. Peter beharrte auf seiner Reglosigkeit, wagte sich keinen Millimeter nach vorne, keinen zurück. Sicherlich, er war noch nie sonderlich agil gewesen, nie sonderlich bewegungsfreudig. Aber zu einem einzigen Sprung würde er doch wohl noch imstande sein.
Er musste ja nicht groß sein. Kein olympiaverdächtiger Weit, kein athletischer Hochsprung. Nein, ein Hopser reichte mir, ein kleiner, winziger Hüpfer.
Doch Peter sprang nicht.

Wir hatten gübt. Hier unten, am Boden. Ich hatte ihm Sprünge aller Art präsentiert, hatte ihn aufgemuntert, doch schon hier hatte er versagt. Vielleicht strengte ihn das Springen zu sehr an, hatte ich überlegt. Vielleicht ist es zuviel verlangt, ihn die Gravitation überwinden zu lassen.

Und nun war er dort oben. Ich hatte ihn zur Absprungsstelle begleitet. Hatte ihm gut zugeredet. Wir könnten gute Freunde werden, hatte ich gesagt. Wenn er nur sprang.

"Er bewegt sich!", kreischte eine Dame direkt neben mir. "Oh mein Gott! Ich glaube, er springt!"

Doch Peter sprang nicht, hatte sich kein bisschen bewegt, lag noch immer reglos auf der Brüstung, verweigerte sich der Aufgabe, die ihm angedacht war.

"Spring doch!", rief ich noch einmal, doch hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Er würde nicht springen. Er war noch nie gesprungen, und würde es auch diesmal nicht tun.
"Und so etwas will ein Springseil sein.", murmelte ich enttäuscht und ging.

Montag, 1. Februar 2010

Der Ermittler

"Ich arbeite gerade als verdeckter Ermittler.", sagte Peter.
"Was?"
"Ich arbeite als verdeckter Ermittler.", wiederholte er.
"Ich verstehe kein Wort!", rief ich.
Ich hörte Peter seufzen, dann bewegte sich etwas unter den grauen Stoffbahnen, in die Peter sich gehüllt hatte. Ein paar Augenblicke später tauchte Peters Kopf aus den Decken auf.
"Ich arbeite gerade als verdeckter Ermittler."
"Verdeckt - wegen der Kuscheldecke?"
"Ja."
"Dann bin ich wohl auch einer.", grinste ich.
"Wieso?", stutzte Peter.
"Deshalb.", sagte ich und zeigte nach oben, zur Zimmerdecke.

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