Mittwoch, 22. April 2009

MiSt: Der Fernsehturm

Die Serie "MiSt - Morast in Stuttgart", die ich mit diesem Artikel kreiiere, zu der ich aber spontan auch ältere, passende hinzufügen werde, soll die Sehenswürdigkeiten Stuttgarts beleuchten - natürlich aus Morastscher Perspektive, also mit ausreichend Gesülze und anstrengender Faktenarmut. Es ist zu erwarten, dass noch weitere Texte folgen werden, die unter anderem Stuttgarts Nachtleben ... äh ... beleuchten.
Und so.


Gegen Mittag riss mich das schlechte Gewissen aus dem Bett, eigentlich Stuttgart und seine Sehenswürdigkeiten besuchen und nicht den sonnenwetterwarmen Tag mit Unnötigkeiten vergammeln zu wollen. Doch als ich um vier noch immer zu Hause verweilte, zwar mit gefülltem Bauch, gesäubertem Geschirr und Körper, aber dennoch zu Hause, erdachte ich spontan das heutige Ausflugsziel: Der Stuttgarter Fernsehturm.

Nicht viel mehr als eine halbe Stunde, behaupteten die öffentlichen Verkehrsmittel, würden sie brauchen, um mich zum 1956 eröffneten ersten Fernsehturm der Welt zu bringen. Ich glaubte ihnen, packte Fotoapparat und Geld, Zeichenutensiliar und einen Apfel ein, und vertraute mich zunächst einer S-, später einer U-Bahn an. Der Unterschied war offensichtlich: Die S-Bahn fuhr ausschließlich unterirdisch, die U-Bahn hingegen zumeist an der Erdoberfläche.

Es irrten absonderlichste Gestalten durch die Gegend: Eine hagere Frau mit Bartschatten, die vermutlich nicht feminin geboren war; ein Mann mit Picknickkorb, der an jeder Haltstelle ein Stück durch die S-Bahn schlurfte und dann irgendwo plötzlich, kurz bevor sich die Türen schlossen, träge ausstieg; ein Türke mit blond gefärbtem Haar und einem angefangenen Becher Ayran in der Hand, den er jedoch während der gesamten Fahrt ignorierte; verdreckte Mountainbiker, die offensichtlich diverse Strecken befahren hatten, aber nicht bereit waren, zwei oder drei Haltestellenentfernungen innerhalb der Stadt zurückzulegen - und natürlich ich.

Als Ortsfremder, der kein solcher sein möchte, legte ich mir die Angewohnheit zu, stets zielbewusst aufzutreten, selbst wenn ich ahnungslos mit meiner Orientierungsfähigkeit hadere. Demzufolge versuche ich Richtungs- und andere Entscheidungen zumeist schon zu treffen, bevor es an der Zeit wäre, dies zu tun. Eine Taktik, die sich bewährte, denn als ich an der Haltestelle Ruhbank Fernsehturm ausstieg, wandte ich mich entschlossen nach links, also irgendwohin, mit der Gewissheit, dass ein Fernsehturm sich freundlicherweise leicht entdecken lässt.

Und tatsächlich: Da war er, betonhellgrau aus Bäumen hervorragend, wenig imposant, wenig ästhetisch, aber immerhin vorhanden und schwerlich verfehlbar. Der Turm war umkränzt von Wald, und offensichtlich führten mehrere Wege durch ihn hindurch zur dem Bauwerk, das heute trotz seinem Namen nur noch Radiosignale versendet. Obwohl der Architekt angeblich dergleichen geplant hatte, käme niemand ersntlich auf den Gedanken, in dem Turm eine Art Betonbaum zu sehen, dem umgebenen Grün entwachsen.

Der Turm enttäuschte mich bereits, bevor ich ihn überhaupt betreten hatte. Da er sich auf dem Hohen Bopser, also einem Bergchen befindet, hatte ich erwartet, ein paar Kilometer gen Himmel wandern zu müssen, doch die Strecke zwischen Haltestelle und Eingang war nicht nur kurz, sondern auch frei von Steigungen. Und obwohl es einen jährlichen Treppenlauf gibt, war mir der Zugang zu den 762 Stufen verwehrt. Statt dessen hatte ich fünf Euro Eintritt zu zahlen, um einen Aufzug zu benutzen, der erstaunlicherweise zwei Jahre vor Turmöffnung erbaut worden war und seichte Popmusik an mein Ohr dringen ließ.

Drei Personalitäten kümmerten sich um alles Aufzugige. Nach der Begegnung mit dem Kartenverkäufer lief man drei Viertel eines Kreises um den Aufzug herum, um an einer Tür zu landen, die - natürlich - verschlossen war und erst durch eine Türöffnerin zum rechten Zeitpunkt freigegeben werden würde.

Ich war nicht der einzige Wartende. Ein weißbärtiger Vater erklärte seinem geistig behinderten Sohn geduldig und mit sympathischen Lachfalten um die Augen, was sie gerade zu tun beabsichtigten, während der Sohn immer wieder von Äpfeln berichtete. Liebevolle Eltern begeistern mich stets, und so kam es, dass meine Enttäuschung, die ohnehin nie immens gewesen war, sich verflüchtigte.

Im Fahrstuhl war es dann Person 3, die uns nach oben geleitete. Angeblich brauchte das Gefährt 36 Sekunden, um 150 Meter zu überwinden, doch anstatt dies verifizieren zu wollen, erfreute ich mich an der Digitalanzeige, die mir meine derzeitige Höhe mitteilte.

Trotz aller Erwartbarkeit hatte ich nicht damit gerechnet: Auf der Aussichtsplattform war es windig und dementsprechend kühl. Ich dankte meiner Jacke, obgleich sie unzureichend war, und starrte auf Stuttgart hinab.

Die Sonne schien, und ich freute mich darüber, ausgerechnet den heutigen Tag ausgewählt zu haben. Meine Kenntnis über Stuttgart liegt zwar in Nullnähe, und so war ich nicht fähig, irgendein Gebäude zu erkennen, doch das störte mich nicht. Denn gerade als ich über den Sonnenstand die Himmelrichtungen sortiert hatte, entdeckte ich auf der zweiten, der oberen Aussichtsplattform Erläuterungen zuhauf. Denn die Plattform wurde nicht nur von Geländer, sondern auch vorn einem kupfernen Kunstwerk umkränzt, das sowohl Nah- als auch auch Fernziele und Himmelsrichtung entsprechend der jeweiligen Blickrichtung bezifferte.

Und so hatte ich natürlich auch keine Probleme, meinen Wohn- und Arbeitsort zu entdecken - zunächst nur auf der kupfernen Karte, später doch glaubte ich auch in der Ferne bekannte Gebäude zu erkennen und beschloss einfach, dass meine Vermutungen wahr seien.

Nach einer Weile erschöpfte sich mein Interesse an Aussicht, und ich schlüpfte rasch in den gerade abfahren wollenden Fahrstuhl. Person 3, Popmusik, ignorierter Souvenirladen, Auf Wiedersehen.

Im Wald fand ich ein balzendes Vogelpärchen, das sich immer wieder meinem Fotoapparat entzog. Derart aufgeheitert begab ich mich zurück zur Haltestelle und beschloss, die zeitaufwändigere Fahrt mit der U15 der U7 vorzuziehen. Ich schaffte es nicht nur, gleichzeitig zu lesen, aus dem Fenster schauen und Stuttgart zu betrachten, sondern auch noch eine Straße wiederzuerkennen, in der ich mich bei meinem zweiten Besuch der baden-württembergischen Landeshauptstadt mehrfach verfahren hatte.

Schmunzelnd stieg ich am Schlossplatz aus, betrachtete eine zerrupft aussehende Taube, kaufte mir ein Schokoeis und genoss ein paar Sonnenstrahlen, bevor ich endgültig heimfuhr.

Mittwoch, 1. April 2009

Tageswort Nr. 48: [Zu lang, um in eine Überschrift zu passen]

Das Wort des heutigen Tages ist
Formfleischvorderschinkensahnesoße

Ich entdeckte es in einer Speisekarte eines italienischen Restaurants und war sofort davon angetan. Schließlich erstreckte es sich über zwei Zeilen.
Für Wörter wie dieses muss man die deutsche Sprache einfach lieben.
[Die Pizza war auch okay.]

Berg- und Talfahrt [ohne Tal]

Wenn ich Stuttgart als meinen derzeitigen Wohnort angebe, schaffe ich es, gleichzeitig zu lügen und die Wahrheit zu sagen. Denn tatsächlich wohne ich einem mit eigenem Markt und Einkaufzentrum ausgestatteten Vorort Stuttgarts, der vom Stadtkern getrennt ist, aber dennoch zur baden-württembergischen Landeshauptstadt gezählt wird. Zwischen mir, also dem Ort, an dem ich sitze und diesen Text tippe, und der Innenstadt, also beispielsweise dem Hauptbahnhof, liegen jedoch ein paar U- beziehungsweise S-Bahnminuten, die nicht nur mit Gleisen beziehungsweise Straßen gefüllt sind, sondern auch mit Wald.

Jedoch dürfte bekannt sein, dass Stuttgart trotz schwäbischer Fröhlichkeit [Ich entschuldige mich im Voraus für den nun kommenden schlechten Wortwitz.] eine Weinstadt ist, und dass Weinstöcke üblicherweise in ab- beziehungsweise aufschüssigen [kommt darauf an, in welche Richtung man läuft] Gebieten wachsen.
Ich drücke es mal so aus: Es gibt einen Grund dafür, dass der Fahrradkeller nicht von Stadträdern, sondern vielgangigen, profilreifigen Mountainbikes bevölkert wird und dass ich zur Arbeit mit dem Rad bei ausreichend regelignoranter Fahrweise auf dem Hinweg zehn, auf dem Rückweg etwa zwanzig Minuten brauche.

Dessen ungeachtet spürte ich den Gedanken in mir keimen, den mittelgut bewetterten Sonntag dazu zu nutzen, die mich umgebenden Baumansammlungen mit dem Fahrrad erkunden, frei von Stadt- oder Routenplänen, gepäck- und sorglos.

Ich liebe mein Fahrrad. Es hat bereits mehrere Jahrzehnte auf dem Rahmen, doch vermochte es, mich und dreißig Kilogramm Gepäck unversehrt und fröhlich 500 Kilometer durch die Niederlande zu tragen. Ich liebe es, weil es nicht so aussieht, als besäße es überhaupt eine Gangschaltung, und weil es dementsprechend mit einer altmodisch wirkenden aber tadellos funktionierenden 3-Gang-Nabenschaltung zu überraschen weiß. Ich liebe es, weil es ein wenig antiquiert ist, ein wenig mitgenommen wirkt, aber mich zuverlässig mit kleinen oder großen Geschwindigkeiten an jedes Ziel bringt.

An Stuttgarts Wäldern jedoch scheiterte es. Beziehungsweise ich scheiterte, denn das Rad kann nichts für meine Unfähigkeit, kilometerlange Extremsteigungen anstrengungsfrei zu bewältigen.

Anfangs war alles noch gut. Der Wald war arm an Laub, doch reich an Feuchtigkeit, und ich bemühte mich, auf den breiteren Wegen zu bleiben, die allesamt "Seufzerallee" oder ähnlich albern benamt waren. Hin und wieder stieß ich auf einen Wegweiser, der mich zu Zielen wies, von denen ich noch nie gehört hatte, doch wenn ich ihnen folgte, waren sie an der nächsten Kreuzung nicht länger bereit, mit Rat und Hinweis zu glänzen. Statt dessen las ich Namen wie "Teufelswiesen", wo überhaupt keine Grünfläche zu finden war. Auch gab es farbige Wegesmarkierungen, doch da ich bewusst vorwissensfrei in diese Tour gestartet war, halfen sie natürlich ebensowenig wie die zahlreichen Jogger, die Vogelgesang und Waldesluft ignorierend ihrer Atmung lauschten und den Weg vor ihren Schuhe beobachteten. Ebensowenig halfen die zahlreichen Hunde, die ihrer Angst vor Zweirädern teilweise mit dezibelstarkem Gebell Ausdruck verliehen. Und dass der Wald von etlichen kleinen und größeren Pfaden durchkreuzt wurde, die es unmöglich machten, in irgendeine Wildnis zu geraten, waren ebenfalls wenig unterstützend, da doch jede Kreuzung eine erneute Entscheidung abverlangte.

Was dagegen half, doch zugleich missfiel, war die Straße. Zu meiner Linken rauschte es immerfort, und ich wunderte mich ein wenig, wie es sein konnte, dass ich durch ein Naturschutzgebiet radelte, das derart intime Nähe zu Autobahnigem besaß. Immerhin war es, selbst wenn ich die Orientierung verloren hätte, dadurch nahezu unmöglich, sich zu verfahren.

Ich radelte, und tatsächlich brachte es mir Freude, Schlammpfützen auszuweichen und über belaubte Weg zu flitzen. Abzweigungen wählte ich spontan, und nicht selten suchte ich diejenige Alternative, auf der ich gerade niemanden entdecken konnten.
Es ging bergab, was mich wenig erstaunte, wohnte ich doch anscheinend oberhalb von wirklich allem. Ich war schnell unterwegs, bremste bei Hunden, bremste bei Pfützen, bremste in scharfen Kurven, bremste an Kreuzungen. So konnte es ewig weitergehen, dachte ich, wählte eine andere Richtung und trat noch ein wenig stärker in die Pedale.

Zwischendurch hielt ich an einigen der kartenartigen Orientierungshilfen, die jedoch nicht weiterhalfen. Es war vielleicht eine gute Idee gewesen, eine Art Relief zu schaffen, bei dem die Tiefe der Gravierung anscheinend für die Ausgebautheit des Weges stand. Es war auch schön anzusehen, dass Wege mit absonderlichsten Namen überall zu verlaufen schienen, dass es zahlreiche Aussichtspunkte und Raststätten gab, ja, dass der Wald im Allgemeinen vollgestopft war mit Orientierungspunkten und spannendem Zeugs. Interessanterweise gelang es mir jedoch nicht, Legende und Karte in Einklang zu bringen. Wenn ich also den Wanderweg vom Schloss zum Schössle zu entdecken versuchte, scheiterte ich. Vielleicht lag es an mir und meiner Benachteiligung, was das Erkennen roter Linien auf waldgrünem Grund angeht. Vielleicht lag es aber auch daran, dass jede einzelne dieser Karten anders ausgerichtet war. Mal war Norden links, mal oben rechts, mal unten. Ich begriff nicht, nach welcher Systematik die Karte jeweils gedreht war, doch sehr schnell, dass ich nicht imstande war, diese Karte zu lesen. Also verließ ich mich auf meinen Orientierungssinn und das Rauschen zu meiner Linken.

Eine weitere Kreuzung erreichte mich. Ich hatte mir bereits eine hohe Geschwindigkeit zu Eigen gemacht und musste mich rasch entscheiden. Vier Wege standen zur Auswahl, doch wenn ich den einen, von dem ich heranbrauste, und den anderen, der Richtung Straße führte, abzog, blieben nur nich zwei Möglichkeiten: Ein schmaler, stark belaubter, vermutlich unebener Weg - oder eine beqeme, breite Strecke, auf der sich jedoch ein Pärchen vergnügte.

Der schmale Pfad ging steil bergab. Ich grinste und wusste genau, dass mein Rad für solche Strecken eindeutig ungeeignet war. Der Boden war feucht, zu großen Teilen matschig, und wenn ich mit altmodischem Rücktritt bremste, schlug das Hinterrad aus. Es war steil genug, dass ich den Rücktritt irgendwann kontinuierlich betätigte, nur um die Geschwindigkeit annähernd beizubehalten. Alsbald musste ich auch die Vorderbremse einbeziehen, und ich war dankbar dafür, dass ich den umgestürzten Baum bereits längst gesehen hatte, bevor ich ihn erreichte, denn hätte er sich hinter einer der zahlreichen winzigen Kurven befunden, wäre ich vermutlich zusammen mit meinem Gefährt umgehend die Böschung hinunterstürzt.

Doch meine Angst galt nicht dem Sturz, galt nicht irgendwelchen Verletzungen, galt nicht dem Schlamm, der mich und mein Transportmittel verunzierte, galt nicht den zahlreichen Hindernissen, von denen irgendeines mein Rad ernsthaft beschädigen konnte. Meine Angst galt einzig und allein der Rückfahrt, auf der ich den gewaltigen Höhenunterschied wieder wettmachen müsste. Und wie ich vermutete, würde dies keineswegs mit schonend sanfter Steigung möglich sein.

Der Weg fand irgendwann sein Ende in einer Wiese, die "Vogelwiese" hieß, von Kleingärtnerei umegeben war, Blick auf die autobahnige Straße und deren Tunneleinfahrt bot, doch ansonsten keinerlei richtungsweisende Merkmale besaß. Ich hatte nur zwei Möglichkeiten und wählte die, die weg von der Zivilisation [allerdings hin zur Rauschestraße] Richtung Heimat führte. Bergauf natürlich, doch zunächst noch gemächlich. Als ich mal wieder einen bellenden Hund überholt hatte, entschied sich der Weg, allmählich steiler zu werden und sich dann zu gabeln. Erstaunlicherweise fand ich zwei Wegweiser. Der nach rechts führende Pfad war für Fahrräder wie das meinige offensichtlich ungeeignet. Er war winzig und führte steilst bergauf - in Richtung irgendeines Sees. Die Alternative war eine Fortführung des bisherigen Weges, breit genug für mich, nicht allzu steil und zur irgendeinem Brunnen führend.

Ich erreichte den "Brunnen" wenige Minuten später. Unästhetische Betonitäten hatten das aus dem Berg sprudelnde Wasser aufgestaut, so dass man sich tatsächlich badenderweise in einem Miniaturbecken vergnügen konnte - wenn es nicht nur sieben Grad Celsius draußen gewesen wären.

Na toll, seufzte ich, und gleich darauf ein zweites Mal: Der Weg war zu Ende. Das kann doch nicht sein, dachte ich und stieß bis zu dem Punkt vor, an dem ich direkt vor dem Berg stand. Hier hätte es weitergehen müssen, doch tat es das nicht. Mist.
Wieder hatte ich zwei Möglichkeiten: Ich konnte zurückfahren, dem bellenden Hund erneut begegnen und dann jenen Weg nehmen, den ich zuvor als unbefahrbar klassifiziert hatte. Oder ich schnappte mir mein Rad und trug es einfach nach rechts den Berg hinauf, durch den Wald, dorthin, wo erwähnter Weg theoretisch langlaufen müsste.

Ich entschied mich für b), und während ich mich Fahrrad tragend dem Berg näherte, wurde mir klar, dass die Wahrscheinlichkeit, mich an diesem Berghang hinzulegen und einzusauen, auch ohne schweres Fahrrad und mit zwei unterstützenden Händen anstelle von einer enorm groß gewesen wäre. Und tatsächlich: Kaum hatte ich zwei Mal gedacht, dass ich jeden Moment stürzen würde, stürzte ich. Nicht viel, nur genug, um Knie und linken Arm zu beschlammen und ein wenig zurückzurutschen. Doch ich gab nicht auf, suchte kundigen Blickes den einfachsten Weg hinauf, zog mich Schritt für Schritt voran - und landete tatsächlich auf dem erwähnten unwegsamen Weg, der mir plötzlich erstaunlich begehbar vorkam.

Ich schrieb "begehbar", denn an eine Fahrradfahrt war nicht zu denken. Und so schob ich mein Rad bergauf, hörbar außer Atem und verrückt grinsend. Wenn "aspirieren" "ansaugen" bedeutet und "trans-" "durch", dann saugte ich in den Augenblicken wohl ordentlich durch. Meine Hose war dreckig, doch das kümmerte mich nicht. Hauptsache, dieser elende Anstieg fand bald ein Ende.

Irgendwann war es dann soweit. Ich gelangte an eine dieser von Irren angefertigten Relief-Umgebungskarten und versuchte gar nicht erst, mich an ihr zu orientieren. Ich wählte irgendeinen Weg, der befahrbar aussah und in Richtung des Waldes führte, und trat in die Pedale. Es ging bergauf, und obwohl die Steigung nicht sehr steil war, spürte ich, wie ich langsamer und langsamer wurde und schließlich Geschwindigkeiten erreichte, für die mich höchstens noch gelähmte Schnecken bewundert hätten. Tatsächlich kam mir, während ich in der Pedale stehend dem baldigen Ende des derzeitigen Hügels entgegenkeuchte, ein Mountainbiker entgegen, der aber mein verzerrtes Grinsen nicht erwiderte, sondern ignorant vorbeiradelte. Arsch!, dachte ich und kämpfte weiter.

Irgendwann wurde der Weg wieder besser, und bald gelangte ich an eine Stelle, die mir bekannt vorkam. Moment, dachte ich, hier bin ich doch auf diesen schmalen, kleinen, steil abwärts führenden Schlammpfad abgebogen! Und selbstverständlich wählte ich nun eine andere Richtung, nämlich die, aus der ich ursprünglich gekommen war. An der nächsten Abweigung stieg ich ab. Ich verließ das vertraute Gelände erneut, stopfte mir ein Lakritzbonbon in den Mund und schob mein Fahrrad bergauf. Für heute hatte ich genug aufwärt gestrampelt.

Bald hatte ich genug vom Schieben und fuhr noch ein wenig. Ich gelangte ich eine bewohnte Gegend und beschloss, den Wald endgültig zu verlassen. Hier sind die Wege besser, dachte ich beglückt, vergaß jedoch, dass auch Straßen Höhenunterschiede besitzen. Nur wenige Augenblicke später kämpfte ich mich erneut transpirierend und keuchend bergauf.

Dann war es vorbei. Ich durchquerte die Siedlung mit vor Schmutz starrender Kleidung, durchgeschwitzt und Bonbon lutschend, einhändig die ebenen Straßend genießend. Als ich das Fahrrad verstaut hatte, setzte ich mich erst einmal. Ich war nicht weit gekommen an diesem Tag, doch wusste nun, was es heißt, in Stuttgart Rad zu fahren.

Sonntag, 29. März 2009

Musik, bitte.

Der Stuttgarter Club Zentral hatte zu den sogenannten Metal Nights geladen und mich frisch Zugezogenen mit schwermetallischen Bands gelockt. Ich wehrte mich nicht, und erwarb eine Karte, die mir ermöglichen sollte, Agathodaimon, eine von mir seit ungefähr zehn Jahren gutgefundene Klangformation, live zu erleben, begleitet von Agrypnie, dem Projekt, das aus den nicht mehr existierenden, aber von mir noch immer hochgeschätzten Kapelle Nocte Obducta hervorging.

Der wahre Anlass war natürlich das neue Agathodaimon-Album, das nach diversen bandinternen Umstrukturierungen eventuell in mir diverse Befürchtungen geweckt hätte, wenn ich überhaupt davon gewusst hätte. Doch bis vor wenigen Tagen wusste ich nichts, und bis Zeitpunkt des ersten Agathodaimon-Konzertsongs hatte ich von dem Neuwerk nicht mehr gehört als wenige durchgezappte Minuten in irgendeinem Musikfachfarengeschäft. Aber immerhin kannte ich das Altwerk zur Genüge und glaubte mich zumindest für den Headliner gerüstet.

Agrypnie hingegen war mir nahezu unbekannt. Glücklicherweise hatte last.fm das Debüt dieser Musikgruppe anhörbereit, so dass ich ihm drei Male komplett lauschen konnte, bevor ich mich heute auf den Weg begab. Doch war ich diesbezüglich sorgenfern, denn auch Nocte Obducta war keine Band gewesen, deren Titel man mitsingen können sollte.

Es hieß Metal-Nights, und so war es nicht verwunderlich, dass zwei Vorbands aufzutreten beabsichtigten. Zum einen handelte es sich dabei um Lyfthrasyr, deren Name mir bekannt vorkam, deren Klänge mich beim last.fmigen Hineinhören jedoch nicht dazu ermutigten, mehr als zwei Lieder erlauschen zu wollen. Ich war demnach unvorbereitet, doch mit diesbezüglicher Gleichgültigkeit benetzt. Und von der lokalen Band Darkness Ablaze wollte ich mich schlichtweg überraschen lassen.

Dass der Club Zentral so heißt, war gut, denn die Haltstelle Stadtmitte war nicht fern, und erhöhte mir Unwissendem, mit handgezeichnetem Lageplan Bestücktem die Erreich- und Findbarkeit der Lokation. Selbige war klein, aber im Gegensatz zu den üblichen Metalschuppen sauber und abseits jeglicher wrackiger Konsistenz. Es gab sogar eine behindertengerechte Männertoilette - unguterweise war sie jedoch für maskuline Wesen die einzige, so dass auch wir Nichtweibchen mal die Erfahrung einer Kloschlange machen durften. Zum Glück war sie stets angenehm kurz.

Weiteres Glück hatte ich, weil ich nach der Konzerterei meine Jacke an ihrem Platz antraf. Denn Stuttgart besitzt in seinen Clubs zwar Möglichkeiten, ablegbares Kleidwerk zu verstauen, doch mangelt es sehr häufig an Bewachern, Abholmarkenausgebern und 50-Cent-Kassierern. Intelligentweise war ich vorbereitet gewesen: Monatskarte, Geld und Wohnungsschlüssel waren alles, was ich an bedeutsamen Gegenständen bei mir trug - und natürlich nicht in der Jacke ließ.

Darkness Ablaze waren erstaunlich gut. So gut, dass ich während ihrer nur halbstündigen Darbietung immer wieder dachte: Huch, die sind ja gut. Nicht gut genug, um 12 Euro für ihr silbernes Presswerk ausgeben zu wollen, doch gut genug, um bereits jetzt in die Stimmung zu kommen, den Kopf nicht nur taktbezogen wippen, sondern mitsamt des wallenden Haupthaares schütteln zu wollen. Ich schüttelte nicht, doch freute mich über das angenehm abwechslungsreiche Spiel und den fähigen Frontmenschen, der mich eine einst getroffene Aussage korrigieren ließ: Kurzhaarige Headbanger sehen albern aus, aber nur, wenn die Kurzhaarigkeit nicht in eine Glatze mündet. Tatsächlich versprühte der Schreikerl angenehm viel Energie, um auch den recht kleinen und trotzdem nicht übermäßig dicht bevölkerten Club in Wallung zu bringen. Und auch wenn ich befürchte, die Band abseits ihres Live-Daseins nicht übermäßig viel hören zu werden, empfehle ich sie hiermit.

Das Gegenteil mache ich mit Lyfthrasyr. Unwillig muss ich zugeben, dass es nicht Unfähigkeit war, die meine Sympathie an dieser Band vorbeigehen ließ. Nein, der Grunzer war durchaus zum verschiedenen-tonlagigen Kreischen imstande und konnte auch nebenbei seinen elektrischen Bass bedienen. Doch allein dieser E-Bass war ein Hort der Widerwart: Alles an ihm schrie: Ich bin ein Poser, schaut alle her! Und es ging noch weiter: Die Gewandung der Musizierenden war tiefstes Gothic-Klischee, irgendwie unpassend für ihre harten metallischen Laute, mit Lack und Bondagerei eher dem ELektronischen zuvermutet - und auf jeden Fall in jedweder Umgebung unschön, abartig, als hätten sie Rabatte bei XtraX bekommen. Die Mimik, die Gestik, des Frontmenschen - alles rief "Poser" und vermochte noch nicht einmal mehr, mich schulterzuckend schmunzeln zu lassen. Und wenn es nicht "Poser" war, dann war es "evil" - was allein der Scheinwerfer bezeugte, der den Sänger von unten bestrahlte und dementsprechend taschenlampenböse aussehen ließ. Wenn wenigstens die Musik gut gewesen wäre - doch irgendwie empfand ich sie nur als sinnloses Geknüppel, das hin und wieder von dem mit einer Baumarktkette beschmückten Keyboard unterbrochen wurde.

Die Umbauarbeiten waren jedesmal wieder faszinierend. Zum einen erstaunte mich, wieviele Menschen Platz auf dieser kleinen Bühne hatten, zum anderen fand ich angenehm, dass die Bandmitglieder selbst es waren, die den Hauptteil des Auf- und Abbaus besorgten, nicht irgendwelche Groupies.

Agrypnie waren der Höhepunkt der Metal-Nights. Zumindest wenn es nach dem Publikum ging. Es wimmelte nur so von Agrypnie- und Nocte-Obducta-Bekleidung, während sich Agathodaimiges nirgends finden ließ. Der Saal erreichte seine Maximalbefüllung des Abends, jedoch längst nicht seine maximal mögliche.
Ich befand ich mich irgendwo in dritter, vierter Reihe und schwelgte in Sympathie. Denn tatsächlich war die Band auf den ersten Blick schon einnehmend. Da war der Schlagzeuger, der seine Ohren mit dicken Kopfhörern bedeckte und gerne in des Sängers Ansagen hineintrommelte. Da war der Bassist, ein etwas Fülligerer, der während der Songs vielleicht am meisten mitging und hin und wieder sein Musikinstrument in die Höhe hielte, als wollte er un zeigen, dass es noch immer existierte. Da war der Leadgitarrist, ein riesiger Kerl, dessen Gitarre in anderen Händen poserartig gewirkt hätte, beim ihm jedoch etwas Zierliches hatte. Während der cleanen Passagen zupfte er vor sich hin, auf seine Arbeit konzentriert und doch ohne Besessenheit. Wie nebenbei brachte er die Gitarre zum Klingen. Der zweite Gitarrist war fast noch ein Kind. Nach dem Aufbauen setzte er seine Brille ab, nach dem Konzert wieder auf. Zwischendurch strich er sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht, obwohl sie dort überhaupt nicht verweilten. Der Sänger selbst war allerliebst. Gerne hätte ich mehr Ansagen gehört, doch war aufgrund der hohen Musikerdichte dafür kaum Zeit. "Wir spielen noch zwei Titel. Also zuerst den einen, dann ruft ihr Zugabe; dann spielen wir den anderen." Dass er zudem auch noch Linkshänder zu sein schien, machte ihn aus unbekannten Gründen umso sympathischer.

Leider war der Klang mies. Schwarzmetall eignet sich vielleicht nicht für Konzerte, oder der Mischpultmann war überfordert; ich weiß es nicht. Sicher war nur, dass ich zum Teil aus dem ganzen Rauschen, das ich vernahm, kaum noch das Lied heraushören, das ich immerhin schon dreifach gehört hatte. Nicht weniger schade war, dass nur wenige Songs des mir bekannten Albums, dafür umso mehr der neueren Scheibe gespielt wurden, so dass mein Haarschüttelpotential nicht völlig ausgeschöpft werden konnte. Doch wenigstens zum mir Bekannten arbeitete ich fleißig an den Nackenschmerzen, die mich am nächsten Tag ereilen würden.

Dann Agathodaimon. Weil das neue Werk präsentiert werden sollte, und ich eigentlich nur dessen ersten Titel wiedererkennen konnte, befürchtete ich ein wenig, nicht ausreichend Begeisterung förderndes Material auf die Ohren zu bekommen. Zum Glück unebrechtigterweise, denn obgleich tatsächlich viele Werke der gerade erschienenen CD gespielt wurden, schafften die Agathodaimonen es auch, mich sehr zu erfreuen. Ja, mehr als das: Obwohl sich der Raum ein wenig geleert hatte und die allgemeine Kopfschüttelneigung sehr gering war, wirbelte ich eifrig mein Haupthaar umher - und konnte sogar den neuen Klängen etwas abgewinnen. Der Sänger, angeblich einigermaßen neu und unguterweise mit diversem Gothic-Kram bestückt, war nicht nur allgemein gutfindbar, sondern auch zu begeisternswerten Klängen fähig und imstande, auch das Altwerk zu präsentieren, als wäre es schon immer das seine gewesen.

Dass das Mikrophon des Zweitsängers und Gitarristen nichts nutzte, störte durchaus ein wenig, doch war das Konzert gut genug, um mich darüber hinweghören zu lassen. Und als dann abschließend mit "Departure" in der Zugabe eines meiner favorisierten Lieder gespielt wurde, war ich vollends zufrieden und kehrte mit einem berauschenden Gutgefühl bestückt heim.

Freitag, 6. März 2009

Die dicke Elfe

Als eines Tages die dicke Elfe ein wenig herumhokuspokierte, war sie – schwups – plötzlich nicht nur total durcheinandergewirbelt, sondern hatte an ihrem Hintern auch noch eine englische Ameise, „ant“ genannt, kleben.
Und so wurde aus der dicken Elfe ein Elefant.

Samstag, 31. Januar 2009

Abschottung

Obgleich ich mich bereits der Exmatrikulation unterzog, bin ich noch immer Student. Zumindest für die Mageburger Verkehrsbetriebe, deren Semesterticket ich mit zusammen dem halbjährlichen Semesterbeitrag erwarb. Damals, als ich noch studierte. Bis Ende März ist es mir also gestattet, die öffentlichen Verkehrsmittel Magdeburgs zu nutzen, ohne eine zusätzliche Fahrkarte erwerben zu müssen. Bis Ende März darf ich also Musik hörend und lesend in geheizten Bahnen von A nach B fahren, wobei B im heutigen Fall für "Bibliothek" stand, dem Ort, von dem ich Philip Roths "Der menschliche Makel" entlieh, das ich anschließend, auf der Fahrt von B nach C, zu lesen begann, ohne mich bezüglich möglicher Kontrolleure zu sorgen.

Als ich meine Innenstädtereien hinter mich gebracht hatte und nicht nur nach C, sondern auch nach D und E gefahren war, beschloss ich, die nächstbeste Straßenbahn zu besteigen, die mich gen Heimat befördern würde. Den eisigen Temperaturen trotzend hatte ich mich tief zwischen Kleidungsschichten versteckt und mit zusätzlicher musikalischer Ohrbefüllung einen Status großflächiger Abschottung erreicht, als die Bahn sich der Haltestelle näherte, sich die Türen öffneten und dem Gefährt eine Menschenmenge entstieg.

Ein Südeuropäer hielt mir im Vorbeigehen einen Zettel entgegen. In Sekundenbruchteilen glaubte ich eine Fahrkarte auszumachen und hinter meinen Kopfhörerklängen die Frage zu erkennen, ob ich denn ein Ticket bräuchte. Als ich meiner Verwirrung entkommen war und ablehnend mit dem Kopf geschüttelt hatte, trennten uns bereits anderthalb Meter. Er zuckte mit den Schultern, und ich stieg ein.

'Meine Abschottung funktioniert nicht.', dachte ich, einen Sitzplatz findend. 'Und anscheinend sehe ich aus, als würde ich eines Fahrscheins bedürfen, als würde ich sonst schwarz fahren.' Ich prüfte im Kopf mein Äußeres, fand nichts Ungewöhnliches und beschloss, mein Buch im Rucksack zu lassen. Schließlich musste ich an der nächsten Haltestelle umsteigen.

Statt dessen beobachtete ich den unlängst installierten Fahrkartenautomaten. Beziehungsweise eine ältere Dame in Leopardenkunstpelz, die in Begriff war, dort einen Fahrschein zu erwerben.

Ich war gespannt: Würde die vermutlich nicht eben technikaffine Frau es schaffen, bis zur nächsten Haltestelle einen Fahrschein erworben zu haben? War die Automatienmenüführung unkompliziert genug, um Regulärbürgern eine einfache Nutzung zu ermöglichen?

Die Dame tippte ein paar Mal auf den Bildschirm und warf dann Geld ein. 'Das ging ja schnell!', staunte ich, dann sah ich sie zögern. Sie blickte mich an und sagte irgendetwas. Ich hörte nichts, rupfte mir die Musik aus dem Schädel.
"Kennen Sie sich hiermit aus?", fragte die Dame, und obwohl ich mit diesen Automaten im Speziellen noch nie zu tun gehabt hatte, stand ich auf.

'Verdammt!', dachte ich, 'Hätte ich doch vorhin das kostenlose Ticket angenommen. Dann könnte ich es ihr einfach in die Hand drücken.'

Der Automat meinte, dass ihm Geld fehle. 50 Cent. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte die Dame ihren Fehler gefunden: Anstelle einer Kurzfahrkarte hatte sie eine reguläre geordert, aber nur Geld für die billigere Kurzfahrkarte eingeworfen. Ohne zu zögern korrigierte sie ihre Bestellung. Dann drehte sie sich zu mir um und lächelte.
"Danke für Ihre Hilfe."
Ich schmunzelte. "Ich habe ja nun nicht wirklich viel getan."

Als das Ticket den Automaten verließ, näherte sich die Bahn meiner Umsteigehaltestelle. 'Meine Abschottung funktioniert nicht.', dachte ich erneut, doch es war mir egal.

Mittwoch, 28. Januar 2009

Nürnberg II

Sich in Stuttgart mit einer U- oder S-Bahn zu verfahren, fällt schwer. In Nürnberg hingegen wird es einem Stadtfremden leicht gemacht, denn die Haltestellenansagen sind wesentlich dezibelärmer als die stetig gleiche Aufforderung, von der Tür zurückzutreten. Ich jedoch war vorbereitet. Nicht nur Googlemaps in Kombination mit der überraschend hilfreichen Seite der Nürnberger Verkehrsbetriebe hatten mir eine Richtung- und Haltestellenahnung verschafft; auch die aushängenden Haltestellenverlaufspläne halfen.

Ein Ticket zu erwerben, war letztlich simpel gewesen, was mich jedoch nicht davon abhielt, zunächst einem Bahnmitarbeiter meine Unfähigkeit zu präsentieren. Er schlurfte desinteressiert zu einem Fahrkartenautomaten, zeigte mir die richtige Taste, und ich bedankte mich artig. Vielleicht auch ein wenig überracht, denn dass Schaltermenschen aufstehen, hatte ich bisher ebenso wenig erlebt wie eine Präsentation von Fahrkartenautomatenkenntnis.

Ich saß also mit gültigem Fahrschein in der U-Bahn und versuchte, die Haltestellenangaben des an der Decke klebenden Plans mit dem unverständlichen Lautsprechergerausche abzugleichen. Als die Bahn in meinen Bahnhof einfuhr, stand ich auf, nicht zu früh, wollte ich doch nicht als Tourist gelten.

Doch dass ich einer war, zeigte sich sofort: Die Tür ging nicht auf. Während in Magdeburg und Halle sämtliche Bahnen einen simplen Knopf besaßen, der zu betätigen war, während der S-Bahn-Tür-Öffnungshebel in Stuttgart nur angetippt werden musst, war es hier nötig, mechanische Arbeit zu verrichtet, Kraft aufzuwenden.

Kaum war ich befreit, ließ ich mich vom Strom zahlloser Schüler zur Bushaltestelle tragen, die es schaffte, mich zu verwirren. Ich wusste, dass ich die 22 nehmen musste, doch nicht, ob ich an der Haltestelle für die richtige Richtung stand. Dass gerade eine 23 einfuhr, die als Fahrtziel eines angab, das sich mit meinem deckte; dass man, wie bei einer Ampel, anscheinend eine Taste drücken konnte, um einen Bus zu rufen; dass die Schülermassen nicht alle in den Bus passten und dass der nächste einfahrende Bus sich "S" nannte, half mir wenig. Ich ließ zwei Busse passieren, setzte mich dann - wie geplant - in eine 22, um eine Strecke zu fahren, die ich leicht zu Fuß hätte zurücklegen können. Aber ich hatte ein Ticket, und dessen 1,90-Euro-Gültigkeit wollte bis zum Letzten ausgenutzt werden.

Auf dem Rückweg blieb mir die Busfahrt erspart; ich wurde gefahren. Zwar finde ich, dass Autos nur Autos sind, doch ein im Innenrückspiegel integriertes Navigationssystem besitzt durchaus das Potenzial, mich zu beeindrucken.

Am Hauptbahnhof angekommen zeigte sich, dass die Zugnutzung auf der Strecke Nürnberg-Magdeburg in unüberschaubar vielen Variationen daherkommt. Bestimmt zehn Minuten verbrachte ich mit dem Vergleich von Fahrtdauern, Fahrtkosten und Umsteigehäufigkeiten und entschied mich schließlich für eine Verbindung, die mich per ICE nach Naumburg, per IC nach Halle und per weiterem IC nach Magdeburg bringen würde und mir vorher genug Zeit ließ, noch einmal kurz in die Innenstadt zu laufen und dort dringenste Bedürfnisse zu befriedigen.

Im Comicladen erwarb ich Band 8 von Herrn haarsträubenden Abenteuern, bevor ich festellen musste, dass Nürnberg zwar eine wunderschöne Altstadt, jedoch nur hässliche Postkarten besitzt. Ich erwarb drei und beschrieb bzw bezeichnete sie in der Gemütlichkeit einer preiswerten Pizzeria.

Es schneeregnete, und auch diese Witterung schien meinem Telefonfotoapparat nicht zu behagen. Ich wäre fähig gewesen, mich in der Innenstadt zu verlaufen, doch entschied mich dagegen. Die Heimfahrt wartete.

Auf dem Bahnsteig angekommen stellte ich fest, dass die Zahl der zu erwartenden Wagons unmöglich stimmen konnte. Die ausharrenden Menschenmassen in Kombination mit der fehlenden Möglichkeit, noch Sitzplätze zu reservieren, ließen Schlimmstes erahnen.

Ich verbrachte die nächsten zweieinhalb Stunden im Schneidersitz lesend auf dem Gang eines vollgestopften ICE-Abteils, eingefercht zwischen Sitzen und Menschen, immer wieder aufstehend, weil irgendwer, sogar ein pflichtbewusster Schaffner, sich unbedingt durch das vielköpfige Gewusel kämpfen wollte. Als ich in Naumburg feststellte, dass mein Anschlusszug genug Verspätung haben würde, um den darauffolgenden Anschluss und somit den Besuch einer Martenstein-Lesung ins Unwahrscheinlichste abdriften zu lassen, entdeckte ich in meinem Gemüt einen Hauch von Unmut. Als ich in dem verzögerten ICE saß und die Befürchtung Gewissheit wurde, fand ich gar eine Zornesfalte auf meiner Stirn.

Später, auf dem Hallenser Bahnhof, stellte ich fest, dass das Bahnhofs-WC nur 50-Cent-Stücke anzunehmen bereit war, nicht wechseln wollte - und dass ich nur einen Euro besaß. Bevor der Grummel mich überwältigen konnte, eilte ich zum nächstgelegenen Bäcker, erwarb einen Kakao und setzte mich auf eine Bank.

Das Heißgetränk wärmte mir die Hände, der Süßgeschmack das Gemüt. Ich schmunzelte ein wenig über den Kaffeebeckerverschluss, der mich an meinen Zivildienst im Krankenhaus erinnerte, schmunelte ein wenig über den Verkäufer ungarischer Einlegwaren, der gewissenhaft wie eh und je seine Ware sortierte und um Bruchteile von Millmetern in Richtung Perfektion verschob. Ich atmete tief, griff mir an die Stirn, stellte mir vor, wie ich die dunkle Wolke dahinter ergriff, wie ich sie in meiner Hand zusammenknüllte.

Auf dem Weg zum Gleis warf ich sie zusammen mit meinem leeren Becher in den Müll.

Montag, 26. Januar 2009

Nürnberg

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln ich dazu bewegt werden kann, Geld auszugeben. Als ich meine Verbindung nach Nürnberg heraussuche, wird mir über ein klitzekleines Ausrufezeichen mitgeteilt, dass der ICE, den ich zu benutzen gedenke, sehr gefragt ist und dass eine Sitzplatzreservierung daher sinnvoll wäre. Als ich dann aber allein einen Doppelsitz einnahm, sich mit fortschreitender Zugfahrt die Reihen um mich herum allmählich lichteten und nur das Erste-Klasse-Abteil mit Zahlreichtum aufwarten konnte, zweifelte ich plötzlich am Wahrheitsgehalt der Mitteilung.

Und auch sonst verlief die Fahrt angenehmer als die nach Stuttgart: Kein Gegenüber reduzierte meine Beinfreiheit, keine Mitfahrer versuchten immer wieder trotz Tunnelhäufung und Empfangsarmut, geschäftliche Telefonate zu führen, keine wachsende Verspätung bedrohte meinen Termin.

Na gut, der ICE hatte letztlich fünf Minuten Verspätung, doch spielte sie keine Rolle. Ebenso unwichtig war, dass ich nicht imstande zu sein schien, an einem der bereitstehenden Automaten U-Bahn-Tickets für den nächsten Morgen zu erwerben. Wichtig hingegen erschien mir, dass es ausgerechnet das Gleis 23 es war, das den Durchgang zum gesuchten Südausgang barg.

Der Weg zum Hotel war kurz, ein kurzes Klingeln öffnete mir die Tür, an der Rezeption lag ein Umschlag mit meinem Namen drauf und meinem Zimmerschlüssel drin. Das Treppenhaus verbarg sich, doch konnte ich den altertümlichen Fahrtuhl in die erste Etage nutzen. Das kleine Zimmer war eben ein Zimmer, und dass WLAN nur über zu bezahlenden Telekom-Hotspot erreichbar war, interessierte mich kaum. Nur eine der beiden Nachttischlampen funktionierte, eigentlich logisch in einem Einzelzimmer, die Badezimmerlüftung rumorte gefühlte dreiundzwanzig Äonen lang, selbst wenn man den Badlichtschalter versehentlich betätigte.

Nürnbergs Innenstadt ist schön und leicht findbar. Außerdem existieren dort zahlreiche altertümliche Bauten, die angenehm anzuschauen sind und mir bewiesen, dass mein Telefon kein Freund von uhrzeitbedingt mangelhaft belichteten Fotografien ist. Zunächst glaubte ich noch, dass Stuttgart Nürnberg zumindest in Hinblick auf die beim Durcheilen entdeckte Anzahl von Läden mit Sexbezug überbieten könnte, doch als ich bei Nummer 5 aufhörte zu zählen, war auch diese Stuttgart-Überlegenheit beseitigt.

Die von Max Goldt erwähnte Allgegenwärtigkeit Hannovers war auch hier anzutreffen: Die Läden der Innenstadt waren die jeder Innenstadt. Doch dann entdeckte ich einen Comicladen. Einen mit drei Etagen!

Natürlich ging ich hinein – und war überwältigt vom Angebot. Sicherlich besitzt mein geliebtes Magdeburg auch einen Comicladen, einen, der kürzlich sein Innenstadtdomizil zugunsten preiswerterer, aber ungünstigerer Lage aufgeben musste. Doch dies war eine andere Welt. Überall, wohin ich blickte, entdeckte ich Comics, die mich begeisterten, die ich am liebsten sofort erworben hätte.

„Kann ich Ihnen helfen? Wir wollen nämlich jetzt schließen.“ Die Standardantwort „Ich schaue mich erstmal um.“ lag auf meiner Zunge, doch erschien mir unangebracht. Spontan fragte ich nach dem ersten Band von Herrn Hases haarsträubenden Abenteuern, den es jedoch nicht gab. Ich griff in einem Anflug erneiter Spontaneität nach Band 10, bezahlte erfreut und ging.

Hunger trieb mich in das sogenannte Literaturhaus, wo ich Penne mit Gorgonzolasauce bestellte, die zwar recht ungorgonzolig und dafür fertigsoßig schmeckte, dafür ruccolaisiert war. Außerdem konnte ich während des Essens Herrn Hases zehntes haarsträubendes Abenteuer studieren.

Als ich bezahlte, fragte die Kellnerin nach meinem Comic, und es entspann sich ein Gespräch über französische Comics, die ich nicht kannte, Comics, die ich zeichnete, und Künstler, die durch ein kunstfremdes, bodenständiges Studium sich selbst im Weg stehen. Um eine Visitenkarte ärmer, doch um ein Lächeln bereichert ging ich zurück ins Hotel und half meiner Mami telefonisch, eine DVD abzuspielen.

Samstag, 24. Januar 2009

Stuttgart

Stuttgart schafft es, auf eine sympathische Weise hässlich zu sein.

Der vorangegangene Satz entspricht keineswegs der Wahrheit, sondern nur dem Eindruck, den die bawüer Landeshauptstadt innerhalb von fünf in ihr zugebrachten Stunden auf mich machte, fünf Stunden, von denen ich eine halbe Stunde auf dem Hauptbahnhof, eine halbe in der S-Bahn und ein Großteil des Rests in einem Bürogebäude der zahlreichen Stuttgarter Vorstädte zubrachte. Das Stuttgart, das ich kenne, fliegt an unsauberen Fensterscheiben vorbei oder befindet sich über von mir gerade befahrenen Tunneln.

Sicherlich: In der Ferne erheben sich die Bergbauten, wildromantisch an den Hügel geklebt. Doch die Bergigkeit Stuttgarts ist mir bekannt, und dass sie keinen sonderlich euphorischen Ruf genießt, ebenfalls. Sicherlich: Hier und da entdeckte sogar ich auf meinem äußerst kurzen Kurzbesuch Gebäude, die wohl höheren architektonischen oder kunsthistorischen Wert besaßen, doch überwog die Zahl der Bauten, von denen mir zwar das beschreibende Adjektiv „uninteressant“], nicht aber das Aussehen in Erinnerung blieb.

Steigt man am Hauptbahnhof aus, wähnt man sich in kleinstädtischen Gefilden. Zu winzig scheint das Bahnhofsgebäude zu sein, um den Landeshauptstadtbewohnern Fernreisestation zu sein. Zudem schenken überallige Baumaßnahmen erste Eindrücke von Stuttgarts Hässlichkeit: Sie stören nicht, doch sind vorhanden. Auch die Bild möchte den Häßlichkeitsbrei mitmischen, und stellt einen unansehnlichen Audi-SUV als gewinnbar zur Verfügung – eine Masche, auf die normalerweise nur weltfremdeste Ueckermarkbewohner hereinzufallen pflegen.

Immerhin beeindruckte mich Stuttgart mit der Leichtfindbarkeit von eigentlich fast allem. Selbst als ich bewusst beschloss, bereits an der Haltestelle „Stadtmitte“ die S-Bahn zu verlassen und durch die Innenstadt zu irren, ohne einen Stadtplan erworben zu haben, gelang es mir nicht, mich zu verlaufen. Und nicht nur das; ich fand auch immer zur gerade verlassenen Haltestelle zurück, bis ich irgendwann aufgab, mich wieder in eine S-Bahn setzte und die eine Haltestelle zurück zum Hauptbahnhof fuhr, während die bilingualen Lautsprecherdurchsagen mit ihrer sympathisch-deutschen Akzentuierung mich zu erheitern vermochten.

Denn so war es in Stuttgart: Nichts wirkte überzeugend oder beeindruckend, und doch fühlte ich mich nicht gestört, nicht aufgewühlt ob irgendwelcher Hässlichkeiten, nicht beleidigt aufgrund dessen, was ich sah oder gar roch. Stuttgart war nicht schön, ja unschön, und wirkte es auf seltsame Weise angenehm, sympathisch. Wie ein alter Terrier vielleicht, der keine Schönheitskonkurrenz mehr [um mal einen Monopoly-Begriff einzuflechten, den ich noch nie in anderem Umfeld vernahm] aber dafür noch immer das Herz älterer Damen und spielender Kinder gewinnen wird. Nur dass jene Damen und Kinder in Wahrheit Anzugträger waren, die sich überall in der Innenstadt antreffen ließen. Und selbst das störte mich nicht – vielleicht weil ich an meinem Besuchstag einer von ihnen war.

Die Bezeichnung „Stadtmitte“ war irreführend, nicht auf die bösartige Märchenwald-, sondern auf die unzufriedenstellende Art. Sicherlich: es gab Fußwege und Geschäfte, wie man sie in jeder Stadt zu finden vermag. Es gab schlendernde Menschen und zahlreiche Methoden, sich ohne anzuhalten Essen in das Gesicht zu stopfen. Doch das war auch alles.

Ich landete in einer Passage, die exquisit zu sein schien, wagte kaum, die Auslagen zu beschauen, aus Angst, als neidischer Schaufensterossi zu gelten, und ich fand zwei Dönerläden, die auf den ersten Blick völlig anders aussahen, als ich Dönerladen kenne. Doch das war auch alles.

Ich sitze im Zug, fahre heim, versuche, Stuttgarts fehlende Schönheit als negativ zu erachten, doch kann es nicht. Aus irgendeinem Grund mochte ich diese Stadt. Vielleicht weil mir nicht ein einziger unfreundlicher Mensch begegnet war. Vielleicht aber auch, weil ich alte Terrier mag.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Die Heiligen Drei Rodelkönige

Temperaturen weit unter Null, ein wenig gefallener Schnee und sonnenreicher, klarer Himmel erweckten in C einen Gedanken: Schlittenfahren. Nach kurzer Rundfrage fanden sich in J und mir zwei begeisterte potentielle Schlittenmitfahrer, und rasch war es entschieden: Der Tag der Heiligen Drei Könige, im heimischen Sachsen-Anhalt mit weiträumiger Arbeitsplatzvermeidung zelebriert, würde uns in den Harz führen, dorthin, wo Recherche nicht nur Schee-, sondern auch Rodelbahnexistenz ermittelt hatte. Ein vorfreudiges Wuhuu! lag auf meinen Lippen, als ich mich am Abend des 5. Januars zu Bett begab.

Gegen 10 Uhr klingelte das Telefon. C und J warteten bereits in Js Gefährt, um die anderthalbstündige Reise gen Westen anzutreten, geleitet von einem modernen Navigationsgerät und den bereitwillig geteilten Erinnerungen eines Js. Minus zehn Grad Celsius zeigte mein nichtexistentes Thermometer, und vorsorglich hatte ich so viele Kleidungsschichten übereinandergezogen, dass meine Winterjacke sich fast weigerte, verschlossen zu werden. Eine Trainingshose diente als Ersatz für sich nicht in meinem Besitz befindliche lange Unterhosen, und obwohl ich üblicherweise auf Kopfbedeckungen verzichtete, weil mein Haarschopf sie bei jeder Kopfbedeckung zu verrücken pflegte, hatte ich nicht nur einen dicken Wollschal und wunderwarme Handschuhe, sondern auch eine Wintermütze im Gepäck. Einzig meine Füße, mit jeweils zwei Socken und stiefeligem Schuhwerk bedeckt, hätten eine zusätzliche Stoffschicht vertragen können.

J und C hatten größere Weitsicht bewiesen und nicht nur mehr Socken, sondern auch noch Thermoskannentee inklusive optionalem Zucker, Becker und Löffel, Noisette-Schokolade und Wechselkleidung im Gepäck.

Die Straßen waren geräumt und somit angenehm befahrbar, und bereits anderthalb Stunden später parkten wir vor der Bad Harzburger Touristeninformation. Bad Harzburg, in Niedersachsen gelegen, war von dem katholischen Feiertag verschont geblieben, was uns zu diesem Zeitpunkt aber egal sein konnte. Im Weg stehende NDR-Mitarbeiter verdrängend befragten wir die freundliche Touristeninformationsmitarbeiterin nach potentiellen Rodelrouten und Schlittenentleihmöglichkeiten und wussten alsbald Bescheid: Unweit vom Parkplatz befand sich der Märchenwald, wo jeder von uns gegen eine Tagesgebühr von 4 Euro und das Hinterlassen von Cs Reisepass einen Schlitten entlieh. Der erste Test ergab Rostspuren auf dem Schnee. Die Schlitten waren wohl weder neu noch gerade gewachst worden. Leider war auch die vom Märchenwald wegführende Schräge nicht steil genug, um bereits erste Abwärtsfahrten genießen zu können, und irgendwelche Idioten hatten die Brücke über die Bundesstraße mit Streugut bestückt, so dass auch dort ein Rodeln verhindert wurde.

Wir kehrten zum Auto zurück, trafen letzte Vorbereitungen, tranken einen Schluck Schwarztee und bemerkten, dass unsere Füße bereits jetzt zur Eisklumpen zu mutieren drohten. Bewegung! Wir brauchten Bewegung!

Durch Schnee und Kälte stapften wir etwa 100 Meter weit zur Gondelstation, wo wir im beheizten Warteraum die fast gehässige, nur zwei Minuten lange Bad-Harzburg-Präsentation und hintergründige Klimperklänge über uns ergehen ließen. 28 Leute sollten in die Gondel passen. Zwar unterschritten wir diese Zahl bei weitem, doch durch Kleidungsüberflüss zu Unformen aufgebläht und mit Schlitten bewehrt, konnten wir uns im Inneren der Gondel keineswegs einer Arm- oder Beinfreiheit erfreuen.

Der erste Gang führte uns und unsere hölzernen Gefährte nach dem Ausstieg direkt zum Aussichtspunkt der Harzburg, wo J uns mit Wissen über das zu Sehende und das Fehlende erfreute. Hier, in knapp 600 Metern Höhe konnte ich sogar endlich ein paar Schneeflächen entjungfern und mit meinen Stiefelstapfen verschönern. Wir liefen weiter, Richtung Molkenhaus, einem Ziel, das etwa 4,5 Kilometer entfernt lag und der Beginn einer drei Kilometer langen Rodelbahn sein sollte.

Erstmals bekamen wir Gelegenheit, uns auf die Schlitten zu setzen und bergab zu rodeln, zwar nur ein paar Meter, doch mit hoher Geschwindigkeit und inklusive Kurve. Wuhuu! C schaffte es sogar, nähere Bekanntschaft mit dem weißen Untergrund zu machen.

Von nun an ging es bergauf. Nicht steil, aber kontinuierlich. Cs Schuhwerk, profilarm und für wintrige Ereignisse nicht unbedingt ideal, veranlasste ihn zu moonwalkigem Vorwärtskommen: Einen Schritt nach vorn gehen, einen halben Schritt zurückgleiten. Während wir um das Tal herumliefen, den Schnee und die wundervollen schneebeladenen Bäume bewunderten, teilten wir nicht nur Js Noisette-Schokolade, sondern auch diverse Erinnerungen an frühere Winterurlaube und Rodelfahrten. Erstaunlich, wie lange es her war, dass ich zuletzt auf einem Schlitten saß.

Uns war warm. Offensichtlich waren die benutzten Kleidungsstücke mindestens ausreichend. Und selbst unsere Füße frierten nicht länger. J und ich zogen sogar die Handschuhe aus, um die überschüssige Wärme abzuleiten.

Hin und wieder begegneten wir Wandernden, doch zumeist waren wir allein, und erst als wir am Molkenhaus ankamen, erhöhte sich die Menschzahl in unserer Nähe enorm. Und nicht nur das: Vor dem Molkenhaus waren auch zahlreiche Schlitten abgestellt, so dass wir uns kurz fragten, warum wir die unseren vom Tal nach oben befördert hatten. Vor dem Molkenhaus befand sich außerdem eine Stempelstation der Harzer Wandernadel und stolz bestempelte ich mein Notizbuch.

Wir entschieden uns nicht nur gegen die Benutzung des Biergartens, sondern auch gegen einen Restaurantbesuch, und bemühten uns darum, die berühmte Rodelbahn ausfindig zu machen. Wir irrten ein wenig durch die Gegend, bis ich mich dazu entschloss, im Restaurant nachzufragen. Zwar konnte ich aufgrund beschlagener Brillengläser und ahnungsloser Kellnerinnen kaum etwas erkennen, doch bekam ich immerhin eine Richtung mitgeteilt, die jedoch von J und C unterdessen bereits ermittelt worden war.

Ein paar Hundert Meter weiter ging von der beschneiten Straße ein schmalerer Fußweg ab, und wir wussten: Nun gilt es! Fröhlich setzten wir uns auf unsere Schlitten, stießen uns kräftig ab - und rodelten nur wenige Zentimeter weit. Das Gefälle war nicht groß und die Strecke nicht glatt genug. Also liefen wir noch ein wenig, die Schlitten hinter uns her ziehend.

Als die Strecke steiler wurde, probierten wir es erneut, diesmal mit Erfolg. Wuhuu!, rief ich, und obwohl die Fahrt alsbald wieder zuende war, weil der Weg immernoch zu flach war, bieben wir guter Dinge: Bald würde die Rodelbahn besser werden. Immerhin konnten wir bereits eines feststellen: Dass jeder Lenkvorgang zugleich ein Abbremsen darstellte, war in Anbetracht einer kurvigen, aber unsteilen Strecke ein wenig ungünstig.

Wir wanderten weiter, und auch wenn das Gefälle nicht ausreichte, um eigenständig fahren zu können, war es doch steil genug, dass sich C und J auf ihre Schlitten setzen und relaitv aufwandsarm von mir gezogen werden konnte. Bald tauschten wir, und J zog. Nur C weigerte sich aufgrund haftungsarmen Schuhwerks.

Dann nahm das Gefälle zu; wir setzten uns auf unsere Holzgestelle und rodelten los. Der Weg war schmal und kurvig, und der Schlitten weigerte sich trotz aller Lenkbemühungen beharrlich, die Ideallinie zu halten und bevorzugte die buschreiche und Geschwindigkeit reduzierende Außen- und Innenbahn. Dennoch wuhuu!te ich begeistert. C überholte J, ich überholte J und wir drei rodelten bergab.

Plötzlich verbreiterte sich der Weg. C zeigte auf ein Schild. "Beginn Rodelbahn" stand dort geschrieben, und wir fragten uns, was das denn gewesen war, wo wir soeben heruntergefahren waren. Die Rodelbahn war breiter und glatter, fuhr sich besser, doch war dennoch nicht frei von Kurven oder entgegenkommenden, bereitwillig beiseite tretenden Fußgängern.

Wuhuu!, rief ich, den Schlitten mit herausgetrecktem linken Bein die stete Linkskurve entlang lenkend, ohne dabei großen Richtungskorrekturerfolg zu haben. Abwärts ging es, und der Fahrtwind umwirbelte meine ständig verrutschende Wintermütze. Wuhuu!

Plötzlich war es vorbei. Ein Schild verkündete das Ende der Rodelbahn, ein anderes die Nähe des Märchenwaldes. Die Bundesstraße und Parkplatz waren nah und wir ein wenig enttäuscht: Niemals waren das drei Kilometer!

Zugleich waren wir begeistert: Rodeln fetzt! Einstimmig beschlossen wir, den Rodelberg wieder hochzuwandern, um erneut hinabzufahren. Der Anstieg jedoch erwies sich schnell als äußerst anstrengend: nicht nur die Steilheit, auch der Schnee behinderten das Vorankommen. C nutzte seinen Schlitten teilweise als Gehhilfe, um nicht zurückzurutschen.

Wir passierten das "Beginn Rodelbahn"-Schild und entschieden uns dafür, obwohl es anstrengend war, weiter nach oben zu wandern. Schließlich hatte uns bereits der Teil vor der echten Rodelbahn sehr zugesagt. Also stapften wir durch den Schnee, die leeren Schlitten hinter uns her ziehend.

Irgendwann meinte C, dass es ihm reiche. J und ich liefen noch bis zur nächsten Kurve, und dann ging es los. Ein paar Fußgängern mussten wir ausweichen, hin und wieder kamen wir den Wegrändern zu nah, doch rasten wir jubelnd den Berg hinab. Als sich der Weg zur echten Rodelbahn aufweitete, gelang es mir sogar, der Kurve zu folgen, nicht im schneereichen Gebüsch zu landen und die Geschwindigkeit beizubehalten. Wuhuu!

Wieder war die Fahrt viel zu schnell zu Ende, doch nun wollten wir nicht noch einmal nach oben kraxeln. Wir beschlossen, zum Auto zurückzukehren und dann nach Torfhaus zu fahren, einem Ort, der ungefähr zehn Minuten weit entfernt lag und neben einer Rodelbahn auch einen Rodellift umfassen sollte.

Angekommen stellten wir zunächst fest, dass wir offensichtlich nicht die einzigen waren, die den Gedanken hatten, diese Rodelbahn zu besuchen. Verglichen mit der Bad Harzburger Rodelstrecke herrschte hier ein heilloses Gedränge. Tatsächlich hatten wir zunächst Schwierigkeiten, überhaupt einen freien Parkplatz zu finden. Der Weg zur Bahn war dementsprechend weit, doch wir zögerten nicht und gelangten alsbald zu einem Aussichtpunkt, der uns klar machte, dass die Rodelbahn noch ein paar Meter weiter zu unserer Rechten lag.

Hier gab es nicht nur allerlei Menschen und Schlitten, sondern auch zahlreiche Nahrungsmittelaufnahmestationen. Bevor uns der Hunger überwältigen konnte, gingen wir zur Rodelbahn. Dabei nahmen wir eine Abkürzung, die einen kleinen Hügel beinhalte, den wir nacheinander hinunterrodelten. Unglücklicherweise folgte kleinen, aber steilen Hügel sogleich eine starke Unebenheit, und C stürzte beim Erleben dieser nicht nur vom Schlitten, sondern verlor auch einen Absatz seines Schuhs. J und ich folgten, aus Cs Unfall lernend, mit angemessener Vorsicht.

Der nächste Hügel war weniger steil und weniger gefährlich, doch auch hier folgten unzählige Unebenheiten. Und natürlich hob es hier auch mich aus dem hölzernen Gefährt. Doch alles war in Ordnung, und die Fahrt konnte weitergehen.

Zwar war die Strecke recht glatt, aber auch vielbefahren, hügelig und flach. Wenn der Schlitten mal alleine fuhr, dann nur langsam und mit Unterbrechungen, in denen man krebsartig versuchte, ein wenig Schwung zu gewinnen. J und ich warteten am Ende der Strecke, wo sich der Zugang zum Lift befand, und C kam langsam nach. Obwohl es nicht unlustig gewesen war, war keiner von uns übermäßig begeistert von der Bahn. J holte die Tickets, und nacheinander setzten wir uns auf die blauen Plastikschlitten des Lifts, der uns mit deutlich höhrerer Geschwindigkeit aufwärts zog, als wir eben abwärts erreicht hatten. J erlebte die Bergauffahrt auf dem Bauch liegend, C gar rückwärts fahrend und auf uns zurückblickend.

Oben angekommen beschlossen J und ich, den Rodelbahnanfangshügel noch einmal zu erleben, damit C ein kleines drehen konnte. Cs Schlitten war an mehreren Stellen destruiert und für weitere Benutzung ungeeignet. J schaffte es tatsächlich, bei der Abfahrt seinen unlenkbaren Schlitten so zu steuern, dass er allen größeren Unebenheiten auswich. Der Videobeweis zeigt: Im Gegensatz zu Bad Harzburg, wo die Strecke eben war, reichte die Hügeligkeit hier aus, um J aus dem Schlitten zu heben. Immerhin blieb er störrisch darauf sitzen. Ich jedoch, ihm folgend, stürzte recht rasch von meinem Gefährt hinab in den festgefahrenen Schnee und beweißte mich von oben bis unten.

Wir kehrten zum Auto zurück, verstauten die Schlitten und fuhren zur Bad Harzburger Märchenwald. Erstaunlicherweise gab es keine Probleme beim Zurückgeben der Holzgefährte und schon bald befanden wir uns auf dem Weg in die Innenstadt von Bad Harzburg, wo wir nicht nur eine Fußgängerzone befuhren, sondern auch ergebnislos nach einer Lokation suchten, die geöffnet hatte und unseren gemeinsamen lukullischen Wünschen entsprach. In Anbetracht von zwei Fleischvermeidern und einem Käseverabscheuer keine leichte Aufgabe, und so kam es, dass wir schon bald Bad Harzburg verließen und nach Wernigerode fuhren. Hier war Feiertag, und die Innenstadt begrüßte uns mit wenig erfreuender Ausgestorbenheit. Erst in Blankenburg wurden wir fündig. Dort kehrten wir bei einem Asiaten ein. Zwar waren wir die einzigen Gäste, doch das störte uns wenig. Wir hatten Hunger.

Die Kellnerin erwies sich als angenehm gesprächsfreudig, das Essen als weder sonderlich gut noch sonderlich schlecht, und nachdem wir einigermaßen gesättigt waren und bezahlt hatten, traten wir die Heimfahrt an. Längst war es dunkel geworden, doch die vereinten Kräfte von Fahrerverstand und Navigationsgerät führten uns sicher nach Magdeburg zurück, gerade pünktlich, damit ich mich zu dem gerade beginnenden Geburtstagsnachfeierfondue meiner WG hinzugesellen und den ohnehin wundervollen Tag nicht minder schön ausklingen lassen konnte.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Eulenkalender 2009

Meine Mami [Ja, ich sage "Mami", auch wenn das klingt, als wäre ich gerade vier Jahre alt geworden.] mag Eulen. Daher kreierte ich ihr im Vorjahr für 2008 einen kleinen Eulenkalender. Um sie nicht mit Eulen zu überfluten und zugleich nicht so unkreativ zu sein, dasselbe Geschenk in verschiedener Ausführung mehrfach zu schenken, habe ich in diesem Jahr auf den Eulenkalender verzichtet, was sie zu der Bemerkung veranlasste, dass sie gar nicht wisse, was nun an die Stelle gehängt werden könne, wo sich bisher der Morastsche Eulenkalender befand.
Also schuf ich spontan ein paar Zeichnungen und versammelte sie in einem Werk, das als "Eulenkalender 2009" in die Geschichte eingehen wird.

Und so gibt es nun nicht nur den neulich präsentierten Arztkalender und den wunderfeinen Fred-Kalender, sondern auch ein Werk, das als "Eulenkalender 2009" in die Geschichte eingehen wird.







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