Montag, 27. September 2010

Kartoffelpantoffeln

"Hüte dich vor seinem Handschlag.", flüsterte ich Peter zu. Herr Arthur näherte sich, wie immer in seinen braunen Plüschpantoffeln, die eher an schrumpelnde Kartoffeln als an Hausschuhe erinnerten. Kartoffelpantoffeln, nannte ich sie insgeheim, wenn sich Herr Arthur in ihnen zum Supermarkt schlich, wie immer in einer Geschwindigkeit, die höchstens stillstehende Schnecken für beeindruckend hielten.

"Wieso?", flüsterte Peter mir zu. Wenn man einmal angefangen hatte zu flüstern, gab es kein Zurück mehr, und da spielte es keine Rolle, ob Herr Arthur noch zwanzig Meter entfernt war und zudem schlechte - oder vielleicht einfach nur verstopfte - Ohren hatte.

"Sind seine Hände dreckig? Hat er Warzen?", fragte Peter angewidert.
"Nein, nein.", beruhigte ich ihn. Tatsächlich hatte Herr Arthur keine Warzen - zumindest soweit man das beurteilen konnte,. Er hatte überall Haare, oft Speisereste im Gesicht oder auf den Kleidungsstücken hängen, die er stets viel zu lange zu tragen schien, er hustete häufig feucht, und seine Zähne waren nur noch gelbschwarze Stummel - doch seine Hände waren sauber. Immer.

Und was für Hände es waren! Keine faltigen, mit Altersflecken bedeckten Zitterhände, nein Pranken, riesige, kräftige Biester, die zupacken konnten, wenn sie nur wollten, die vor Energie zu bersten schienen. Überhaupt war Herr Arthur ein Riese, ein Hüne fast, der mit seinen Schaufelbaggerhänden sicherlich ganze Baumstämme zerbrechen konnte. Wäre sein Bart etwas gepflegter, sein Gang etwas aufrechter, seine Schuhe keine Kartoffelpantoffeln, dann wäre Herr Arthur trotz seines Alters eine wahrlich beeindruckende Erscheinung gewesen.

Vielleicht, überlegte ich nicht zum ersten Mal, war Herr Arthur tatsächlich ein König, DER König, König Arthur, auch Artus genannt, jener, dessen Tafelrunde, dessen Zauberer Merlin, dessen heldenhafte Ritter Geschichten, Märchen und Legenden formten. Vielleicht hatte es Arthur wirklich gegeben, und vielleicht gab es ihn immer noch, ihn, den weisen, tapferen König, der die Macht hatte, gewöhnliche Knappen zum Ritter zu schlagen, zu echten Rittern, die ihm treu ergeben beiseite standen und bereit waren, ihr Leben für den größten aller Könige zu lassen. Vielleicht war König Arthur unser Nachbar.

"Hüte dich einfach vor seinem Handschlag.", flüsterte ich noch rasch zu Peter, dann hatten wir Herrn Arthur erreicht. Selbst im gebeugten Gang überragte er mich noch um anderthalb Köpfe, und mich ließ die Vorstellung nicht los, dass vor mir tatsächlich der wahre König Arthur in Kartoffelpantoffeln zum Supermarkt schlich.

"Hallo Herr Arthur!", begrüßte ich ihn freundlich, denn obwohl er sonderbar war, gab es keinen Grund, ihn nicht zu mögen. "Hallo Junge.", grüßte er mich, und seine Stimme waren Reibeisen in meinen Gehörgängen. "Wer ist dein Freund?" Er nickte Peter zu.
"Das ist Peter. Er wohnt jetzt in der Langenhauserstraße.", sagte ich.
"Hallo Peter.", lächelte Herr Arthur und entblößte seine unschönen Zahnreste. "Willkommen in der Nachbarschaft." Herr Arthur reichte Peter seine Hand. Ich schaute Peter warnend an.

Wenn Herr Arthur wirklich König Arthur war, und wenn der Ritterschlag einen normalen Menschen zum Ritter machen konnte - wozu war dann ein Handschlag imstande?

Peter ignorierte mich, murmelte schüchtern "Hallo." und schlug in die dargebotene Hand ein.
Entsetzt schloss ich die Augen und hielt die Luft an. Eine Minute vielleicht. Oder zwei. Ich konnte nicht hinsehen.

Dann ging mir der Atem aus und hechelnd stieß ich die verbrauchte Luft aus meinen Lungen. In zehn Metern Entfernung schlich Herr Arthur in Richtung des Supermarktes, und seine Kartoffelpantoffeln rieben sich geräuschvoll am Asphalt.

Peter war verschwunden. Einfach so.
Oder doch nicht.

Etwas zog an meinem Hosenbein. Ich blickte nach unten. Keuchte geschockt. Wandte den Blick ab. Schaute wieder hin. Schüttelte den Kopf.

Wer mit einem Ritterschlag Menschen zu Rittern macht, sollte keine Handschläge geben, dachte ich und starrte auf die Hand auf meinem Schuh, die tatsächlich stark an Peter erinnerte. "Ich hatte dich gewarnt.", sagte ich und die Hand, die Peter war, nickte traurig mit dem Zeigefinger.

Dienstag, 21. September 2010

...

Nachdem ihre Lippen sich voneinander gelöst hatten, hielt er den Atem an. Nicht lange, nur für einen Moment, lang genug, um zu schmunzeln, die Brille abzunehmen und dann beide Gläser zärtlich zu behauchen.
Sie sah ihn an, und Fragen schimmerten in ihren Augen.
"Wenn ich nun die Welt betrachte", erklärte er und lächelte. "so stets durch deinen Kuss."

Montag, 13. September 2010

...

wie du zwischen meinen welten taumelst
strauchelst
als bedürftest du des fallens
um meinen halt zu finden
als fehlte nur ein wort
nur ein name
nur

ich.

Samstag, 11. September 2010

Springbrunnen im Regen

Sie weigert sich, dachte ich schmunzelnd und schenkte dem Grau weitere Blicke. Wolken harrten träge über farblahmen Gebäuden und flüsterten zarte Regenversuche in die Antlitze der Fliehenden. Meine Schritte fanden Pfützen, fanden glänzend feuchtes Kopfsteinpflaster, fanden Ruhe, als ich nach oben sah, um dem trüben Mantel zu lauschen, den der Tag über uns gebreitet hatte.

Sie weigert sich, dachte ich, und meinte das Strahlen hinter den Graugebirgen, hinter den Welten aus Herbst, die sich dort oben türmten, meinte den wärmenden Glanz, der sich in Erinnerungen versteckte, in Gewesenem und in Monaten, die noch in weiter Ferne lagen.

Auf dem Schlossplatz plätscherten die Springbrunnen weiter ihr feuchtes Lied, als wäre es noch immer Sommer, als säßen auf den umkränzenden Wiesen Menschen, die sich am fröhlichen Spiel der Tropfen, am schillernden Brechen sonnigen Gleißens in spritzig frischem Nass, zu erfreuen vermochten, die nicht fortgescheucht von herbstiger Kälte das Draußen mieden, die nicht mit Seufzerstimme das Oben betrachteten und sich ein anderes ersehnten.

Ich lauschte dem Klang der Springbrunnen, ihrem Duett mit dem sanften Nieseln, das den Grund zaghaft beschleierte, grinste innenwarm über zweifaches Plätschern und wanderte weiter, in Gedanken, mit Schritten, irgendwohin, wo ich mich der Herbst finden konnte.

Montag, 6. September 2010

Peter und die Elfe

Die Elfe hielt den Atem an.

Mit dick aufgeplusterten Wangen schwebte sie direkt vor Peters Nase, und ihr winziges Gesichtchen färbte sich allmählich rot. Peter seufzte: "Aber es ist MEIN Wunsch." Die Elfe schüttelte mit dem Kopf, was weniger resolut als vielmehr niedlich aussah und Peters Zornesfalten ein wenig glättete.

"Es ist ja nicht so, dass ich mir Weltfrieden wünsche. Oder weitere Wünsche. Oder ewige Liebe. Oder gar unendlichen Reichtum. Mein Wunsch ist doch gar nicht so groß."
Die Elfe bewegte das kleine Köpfchen rasch auf und ab, was eindeutig ein dickes, fettes "Doch!" darstellte, und Peter seufzte erneut.

"Aber du hast gesagt, ich hätte einen Wunsch frei!" Peter verzweifelte allmählich, während das possierliche Elfenköpfchen immer bedrohlicher Rottöne annahm. Die Elfe nickte erneut, diesmal langsamer. Peter hatte einen Wunsch frei, soviel stand fest.

"Was ist denn an meinem Wunsch so außergewöhnlich? Was ist daran unerfüllbar?" Peters Stimme überschlug sich. "Ich meine: Du bist eine Elfe! Du kannst zaubern!"

Die Elfe taumelte kurz. Viel Luft blieb ihr nicht mehr.

Peter schrie: "Verdammt. Ich wollte mein ganzes Leben lang nichts anderes! Habe davon geträumt, mich danach gesehnt. Und jetzt habe ich einen Wunsch frei, und dann geht es nicht? Das ist doch bescheuert!"

Die Elfe zuckte mit ihren schmalen Schultern, und man musste schon sehr genau hinsehen, um es zu bemerken. Peter sah nicht hin. Er fuchtelte mit den Armen herum, tobte fast, begann Wörter und Sätze, brach sie wieder ab, war fassungslos. Das konnte doch nicht wahr sein! Diese dämliche Elfe! So schwer war das doch nicht!

Die Elfe taumelte erneut. Und diesmal sah Peter es.
"Ich wünschte, du würdest mit diesem Luftanhalte-Unsinn aufhören!", rief er genervt.

Die Elfe atmete aus, atmete ein - und begann dann, glockenhell zu kichern.
"Ein schöner Wunsch.", flüsterte sie Peter ins Ohr und flog davon.

Donnerstag, 2. September 2010

gegen den spiegel

und dann schreie ich den spiegel an, entreiße mir jedes wort und schleudere es meinem anlitz entgegen. grimm klebt wild auf meiner stirn, als mich an klängen festkralle, als ich zuckend dem rhythmus meines pulsschlags folge. wahn liegt in fetzen auf dem boden, silben perlen wutentbrannt meinen leib hinab. ich lasse mich reißen, fort, hinfort, verblende das jetzt zu grellem lärm und woge mich haltlos in dem rauschen, das mir brüllend entgegenwuchert.

und dann halte ich inne. aller ernst entrinnt den furchen meiner stirn, die gesten weichen auf, als ein schmunzeln sich meiner lippen bemächtigt. 'wie albern ich wirke, versuche ich ernst zu sein', denke ich und grinse noch mehr, noch breiter, als hätten herausgepresste zeilen und besinnungslose toserei räume geschaffen, leere neuwelten, nun darauf harrend, mein flüsterwärmstes innenleuchten zu bergen. 'ein inverser clown bin ich!', lache ich meinen augen entgegen. wenn der vorhang fällt, entreiße ich meiner stimme den zorn und meinen zähnen das knirschen, als wären sie rote nase und perücke. denn hinter der bühne bin ich mensch, bin ich federndes lächeln auf zwei hüpfenden beinen, ein atemsüßes wunschgewitter wohlig schäumender ja!s.

und dann knie ich nieder, klaube die scherben meines wahns vom boden auf, betrachte sie gütig. 'teil seid ihr.', küsse ich sie zu tränen und trinke sie nieder zum herzen. ein seufzer beschlägt mein spiegelbild, doch kann das lächeln nicht verstecken, das, mit innigstem verwachsen, mein antlitz bethront.

Freitag, 13. August 2010

geflecht

ich hatte dich nicht erwartet, nicht dich, nicht heute, nicht hier, nicht in meiner nähe, meinen blicken, meinen armen. mein lächeln harrt seiner geburt, als die erkenntnis mich liebkost, das wissen sich aus dem sehen befreit, durch das denken wuchert und in mein fühlen blüht, als ich zwischen den momenten dich entdecke, dich finde, dich empfinde.

ich hatte dich nicht erwartet, nicht zu erwarten gewagt, nicht zu hoffen gewagt, hatte deine namen mit stille belegt, mit reglosem schweigen, das hoffte, kein warten zu sein, hatte deine wärme aus meinem wünschen getilgt, dein antlitz mit trüber ferne belegt, mit lautlosem abschied, der alles morgen dämpfte.

ich hatte dich nicht erwartet, nicht hier, außerhalb meiner gedanken, jenseits meiner träume, wo ich dein gedeihen nicht tilgen, dein gleißen nicht zu schmälern vermag, nicht hier, jenseits meiner mitten, wo ich mich haltlos um dich drehe, nicht hier, jenseits meiner worte, wo mein flüstern immerfort zu deinem leib gerinnt.

ich berühre, berühre dich, greife, doch kann nicht begreifen, fasse, doch kann nicht erfassen, was mich aus innersten tiefen empor-, aus weglosem sehnen hinaufträgt, mich allem wollen entreißt und dem puren jetzt darbietet, das meine sinne mit sich reißt, allem staunen entzieht und jener atemlosigkeit vermacht, die lippenwärme und feucht schillernden augen zueigen ist.

"ich hatte dich nicht erwartet.", will ich flüstern, doch dringt nur schweigen aus meinem versiegelten mund, nur stille - und ein geflecht aus uns.

Dienstag, 10. August 2010

Sein Name

Und dann kam der Tag, an dem mir bewusst wurde, dass ich seinen Namen nicht kannte. Wir teilten uns ein Büro, mittlerweile seit bestimmt sieben, vielleicht sogar acht Monaten, und ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie er in den Raum gekommen war, mir die Hand gereicht und sich vorgestellt hatte. Werner, hatte er gesagt, glaube ich. Oder Jeremy. Oder Olaf. Oder etwas ganz anderes. Vielleicht Rüdiger. Hassan. Michelle. Keine Ahnung.

Wir teilten das Büro, doch nicht unsere Freizeiten. Verließ er die Arbeit, war es, als sei er über den Rand meiner Welt gesprungen, nur um am nächsten Morgen in altbekannter Namenlosigkeit vor seinem Rechner zu sitzen. Ich grüßte, mochte ihn, verstand mich gut, tauschte gar Scherze und zuweilen Privates aus. Seine Freundin hieß Johanna, war Dozentin für Bildende Kunst und vor vier Wochen bei ihm eingezogen. Er sammelte Matchboxautos aus den 80ern und ekelte sich vor Topflappen. Seine Mutter nannte er immer "Mami", wofür er sich schämte, obwohl ich es niedlich fand. Und wenn sie ihn besuchte, kaufte er stets eine Sonnenblume, weil es ihn an seine Kindheit erinnerte, die er in einem Örtchen unweit von Wiesbaden verbracht hatte, irgendwo, wo im Garten immer zahlreiche Sonnenblumen gestanden und in seiner stillen Verzückung gebadet hatten.

Oh, ich wusste vieles von ihm, kannte den Namen seiner letzten beiden Arbeitgeber, wußte, welche Schuhgröße sein bester Freund hatte, hätte ohne nachzudenken zehn Alben aufzählen können, die in seinem Regal standen. Ich kannte seinen Lieblingsfußballverein und wusste, dass er sich ärgerte, einst einen Bayern-Schal geschenkt bekommen zu haben, kannte seine Hausnummer und sein Autokennzeichen, sein Sternzeichen und das seines Bruders.

Nur seinen Namen kannte ich nicht.

Ich hatte nie darauf geachtet, doch als mir klar geworden war, dass ich seinen Namen vergessen, ja, mir niemals gemerkt hatte, fiel es mir schwerer, mit ihm zu sprechen, ihn zu rufen, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab oder in der Firmenküche Kuchen bereitstand. Ich fühlte mich unbehaglich, wenn ich mit anderen Kollegen über ihn redete, wenn ich meiner Frau von ihm erzählte, ja sogar, wenn er in den Feierabend schritt und nichts weiter als ein "Bis morgen!" von mir erwartet wurde.

Sein Schreibtisch war stets aufgeräumt und sauber, und kein Brief, kein unnützer Zettel, kein Ausweis und keine Mitgliedskarte wagten es, darauf herumzuliegen, und mir seinen Namen zu verraten. Seine Mailadresse war eine Zahlenkombination, Kollegen nannten ihn Kobold, weil sein rotes Haar vor allem in Sommermonaten gut zur Geltung kam.

Ich fand es gemein und hütete mich vor derartigen Spitznamen. Und dennoch kam ich immer häufiger in Situationen, wo ich seinen Namen gebraucht hätte. Der scherzhaft vorgetragene Begriff des "Mithäftlings" kam bei meinem Chef nicht so gut an, und jedes andere Synonym barg schon eine zu große Tendenz, aufzufallen und meine Unkenntnis bloßzustellen.

In meinen Gedanken wurde er zu "der Namenlose", und scherzhaft bildete ich mir ein, es sei tatsächlich so: 'Er hat gar keinen Namen!', dachte ich, bis ich mir Gründe dafür auszudenken begann. Krude Ideen wirbelten durch meinen Kopf, von Waisenhaus bis Ausserirdischer, und irgendwann hielt ich an der Vermutung fest, dass er zwar einen Namen besaß, doch niemand es wagte, ihn auszusprechen. Tatsächlich, seitdem ich darauf achtete, hatte ich niemals jemanden seinen echten Namen sagen hören. Du-weißt-schon-wer, nannte ich ihn nun, nach dem finsteren Gegenspieler Harry Potters.

Doch Du-weiß-schon-wer wurde meinen Gedanken alsbald zu kompliziert, und ich dachte, wenn ich an ihn dachte, nur noch an Voldemort. Und immer kicherte ich innerlich, weil ich mich dabei angenehm albern fand. Aber Voldemort war zu lang, und so hieß er für mich alsbald nur noch Voldi.

Eine Zeitlang ging das gut, dann erwachten Kindheitserinnerungen an einen unhübschen Fernseh-Puppendrachen, und aus Voldi wurde Poldi. Wenig zufrieden war ich mit diesem nun ermittelten Namen, war mein Kollege doch alles andere als ein Poldi. Aber als dann die Fußballweltmeisterschaft begann, war plötzlich der Name Poldi in aller Munde, bekam einen anderen Beiklang. Und es dauerte nicht lang, dass Poldi in meinen Gedanken Lukas hieß, seinem Fußball spielenden Spitznamensvetter folgend.

Lukas war ein Name, mit ich leben konnte. "Guten Morgen.", grüßte ich ihn und ergänzte innerlich ein gelächeltes "Lukas". Lukas blieb Lukas, egal, wie er wirklich hieß, und ich freute mich, endlich einen Namen gefunden zu haben, der zu ihm passte. Freunden erzählte ich von Lukas, der dazu neigte, zwei unterschiedlich farbige Socken anzuziehen, um eine Art Miniaturrebellion auszuführen. Meinem Sohn erzählte ich von Lukas, dessen Matchboxsammlung ihn allerdings wenig interessierte. Selbst meinem Lieblingsbäcker erzählte ich von Lukas, weil er jeden Morgen ein Käsebrötchen aß.

Vor den Kollegen hatte Lukas immer noch keinen Namen. Und doch besaß er ihn, in meinem Kopf, und jedes Gespräch, das ihn zum Inhalt hatte, fiel mir plötzlich leichter.

Es dauerte nicht lange, das bekam Lukas einen Spitznamen. Luke. Nicht sehr kreativ, ich weiß, doch es schien mir, als sei dies der richtige Spitzname für ihn, als passte er noch ein bisschen besser zu ihm.

Luke wusste von alledem nichts, und selbst als ich ihn eines Tages mit "junger Padawan" anredete, verzog er keine Miene. Und so sollte es auch bleiben, denn nun hatte ich eine Möglichkeit gefunden, ihn mit Namen anzusprechen. Nicht mit seinem Namen, natürlich, aber mit irgendeinem. Aus Padawan wurde Pad, aus Pad iPad, daraus für kurze Zeit Ei, bis er genervt mit den Augen rollte, wenn ich ihn so nannte. Das Rollen machte ihn zu Rolli, zu Rolf, zu Zuckowski, zu Zucker, zu Sweety. Seine Augenrollfrequenz nahm zu, und ein männlicherer Name musste her. Ich nannte ihn Sylvester, nach Sylvester Stallone, aber gleichzeitig auch nach der Trickfilmkatze, die den frechen Vogel Tweety jagt, dessen Name wiederum fast wie Sweety klingt.

Aus Sylvester wurde Syl, wurde Sid, wurde - keine Ahnung, warum - Peter, wurde Pete. Pete blieb eine Weile, bis ich es Leid wurde, ihn mit einem englischem Namen anzureden. Etwas Hiesigeres musste her, etwas, das in Kürze und Merkbarkeit mit Pete konkurrieren konnte, das zu ihm, zu Pete, passte, dass altbekannt und dennoch erfrischend modern war. Ich zerbrach mir den Kopf, doch die Ideen ließen mich im Stich.

Das Buch "Beliebte Babynamen" half auch nicht weiter. Die meisten Namen waren Mist, passten nicht, waren zu lang, zu fremdartig, zu bedeutungsschwanger, zu hässlich. Ich war bereits beim Buchstaben T angelangt, als Pete mich ansprach.

"Sag mal.", und hier, an dieser Stelle, wo mein Name eingesetzt werden könnte, vernahm ich eine fühlbare Pause. Pete wirkte unsicher. "Haben wir einander eigentlich jemals vorgestellt?"
Ich starrte ihn an, unfähig auch nur ein Wort zusagen. Dann schüttelte ich den Kopf, langsam, zögerlich, mir meiner Lüge bewusst.
Pete reichte mir die Hand und grinste. "Ich bin Peter. Wie heißt du?"
"Äh ... Lukas.", antwortete ich und schlug ein.

Ich heiße nicht Lukas.

Donnerstag, 5. August 2010

Ganz anders

"Nein, wir machen alles ganz anders!", rief Peter und fuchtelte hektisch mit den Armen. "Ganz ganz anders!"
Ich seufzte, ganz leise nur, denn sowohl meine Lust als auch meine Geduld dürften mittlerweile in irgendeinem Fundbüro angekommen sein. Ich hatte sie jedenfalls bereits vor Stunden verloren.
"Wie denn?", fragte ich und dachte 'Ganz anders.'
"Na, ganz anders!", rief Peter und fuchtelte noch hektischer mit seinen Körperauswüchsen, fast so, als hätte ich ihn beim Versuch unterbrochen, flügge zu werden.
"Ach so.", meinte ich. Die Ironie, die aus diesen beiden Silben nur so triefte, blieb unbemerkt. Peters Denken und Handeln hatte sich ganz dem "anders" verschrieben, das er nun schon so lange proklamierte - das unglücklicherweise sekündlich seine Form zu ändern schien.
"Ich hab's!", rief Peter. Sein Gesicht erstrahlte zum geschätzten dreiundzwanzigsten Mal, als eine neue Genialität seinen Geist heimsuchte. Ich ersparte mir ein weiteres Seufzen. Der Vorrat für die nächsten Wochen war bereits aufgebraucht.
Mein Gesicht war ein Fragezeichen, und es gelang mir, mein erblühendes Desinteresse so zu kneten, dass es nach außen hin wie Geduld wirkte. Ich wartete, dass Peter fortfuhr, doch seine Stirn knitterte schon wieder bedrohlich.
"Wir müssten eigentlich nur...", begann Peter, unterbrach sich, begann erneut. "Eigentlich sollten wir..." Er atmete ein, aus, wieder ein.
"Nein, wir machen alles ganz anders!", rief er dann triumphierend, als wäre, was soeben geäußert hätte, eine Idee.
"Wie anders?", fragte ich und bereute es sofort.
"Na, ganz anders!", erklärte Peter. Sein Gesicht gleißte, und ich wünschte, seine Begeisterung würde nicht immer wieder auf dem Weg zu mir verenden, so wie meine Fragen nach Details immer wieder an Peters Hörorganen zerschellten.
"Wie wär's denn...", setzte ich an, doch Peter unterbrach mich. "Ich weiß es!", rief er, "Jetzt weiß ich es!"
Ich zog die Augenbrauen hoch.
"Es ist eigentlich ganz einfach. Erstaunlich, dass wir bisher nicht drauf gekommen sind! Dabei lag es die ganze Zeit direkt vor unserer Nase." Er sah mich an und grinste. "Wir waren einfach betriebsblind."
"Also...?", sagte ich. Für eine komplette Frage hatte ich keine Kraft mehr.
Peter fuchtelte mit den Armen und verkündete fröhlich:
"Wir machen alles ganz anders!"
Ich nickte. Genau das hatte ich erwartet.
"Ganz ganz anders.", ergänzte Peter und strahlte vergnügt vor sich hin.

Dienstag, 20. Juli 2010

Five in a Million

Eine weitere Giraffenkrakelei, weil es so viel Spaß macht. Und auch wenn ich eigentlich keine weiteren zeichnen wollte, ist auch diese für One Million Giraffes.
Und so.

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Ich möchte dir mein fantasy Welt vorstellen. Vielleicht...
Cerny Vlk - 6. Jan, 21:45
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Danke für die tollen Tipps, wir waren im August auch...
Physiotherapie Leipzig (Gast) - 21. Nov, 17:06
Higtech
Naja, man glaubt es kaum, aber was der Angler an Energie...
Martin Angel (Gast) - 12. Sep, 11:27
gar nisch süß
dat is gar nisch süß soll isch de ma was rischtisch...
free erdem (Gast) - 6. Jun, 16:40
Hier wird es fortan weitergehen: https://morast .eu Und...
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morast - 1. Feb, 21:10

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